Berliner Szene: Ausfahrt zum Wannsee
Fisch und Fetisch
Der Bewegungsdrang meldet sich unvermittelt. Also steige ich nach 23 Uhr abends aufs Fahrrad Richtung Dahlem. Nur kurz im Park sitzen. Dort angekommen, die Musik auf den Ohren, denke ich: „Weiterfahren!“. Bald darauf sind es bis Wannsee nur noch fünf Kilometer, ich fahre den Schildern nach. Eine andere Strecke als meine bisherige Route, rollt sich gut.
Mit anderen Menschen am Fähranleger habe ich um diese Zeit nicht gerechnet. Die Angler haben ihre Geräte in Stellung gebracht, jeder von ihnen bedient mehrere. Ich setze mich auf eine Bank, zwei Angler auf die daneben. Sie sind mir zu laut, ich habe auch keine Lust, sie zu fragen, ob heute schon Fische angebissen haben. Hastig stehe ich auf und suche mir ein anderes Plätzchen. Dabei verliere ich mein Feuerzeug.
Das Wasser, die Sterne und Bootsvereine glitzern, ich trinke meinen Tee, esse meinen Apfel und ja, die fernen Enten und das Plätschern klingen auch gut. Die Kneipe am S-Bahnhof Wannsee schließt gerade, Streichhölzer haben sie hier nicht.
Die Einkehr an der Spinnerbrücke ist noch beleuchtet, aber nicht mehr offen. Draußen schiebt ein Mann Wache, ich frage ihn nach Streichhölzern, wir rauchen eine. Seit fünfzig Jahren wohne er im Wedding, erzählt er.
Das mit seiner Exfreundin muss auch schon länger her sein, ihm ist nicht bekannt, dass in Neukölln abends viel los ist. Er gehe manchmal in den Kit Kat Club, sein Fetisch seien Latex und PVC, auf Facebook habe er Fotos gepostet. Aber ohne dass man ihn erkennt, die Arbeitskollegen würden das nicht verstehen, die Motorradkumpel wahrscheinlich auch nicht.
In meinem Outfit würde ich nicht hineingelassen, mustert er mich. Auf dem Rückweg nehme ich eine andere Strecke. Aber nur auf den letzten Kilometern.
Franziska Buhre
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