piwik no script img

Archiv-Artikel

Darf man noch für Obama schwärmen?

ERWARTUNGEN Barack Obama wollte den Wandel in die USA bringen und begeisterte damit die ganze Welt. Jetzt schickt er mehr Soldaten nach Afghanistan und enttäuscht viele mit seiner Klimadiplomatie

Ja

Barbara Unmüßig, 53, ist Politologin und im Vorstand der Heinrich-Böll-StiftungObama wurde schon im Vorfeld aufs Podest gestellt – Held gegen Krieg, Klimaretter, Retter aus Elend und Not. Das ist naiv. Politik ist ein Abwägungsprozess voller Kompromisse. Wer das nicht wahrhaben will, hat vom Politischen wenig verstanden.

Dass es jetzt Enttäuschung gibt, ist auch eine Medienangelegenheit. Eigentlich sollten Medien aufklären und Machtpolitik analysieren. Stattdessen sind sie schnell dabei, jemanden hoch oder runter zu schreiben.

In Kopenhagen wird deutlich, dass sich die Gesellschaft in den USA seit 20 Jahren der Klimadebatte verweigert. Bush senior hat gesagt, das US-amerikanische Konsummodell ist nicht verhandelbar. In der Illusion leben viele dort noch. Da gibt es auch Versäumnisse von Zivilgesellschaft. Dennoch ist es richtig, weiterhin viel von Obama zu erwarten. Das sollte man aber nicht mit Enttäuschung begleiten, sondern mit stetigem Druck.

Gayle Tufts, 49, ist Entertainerin, US-Amerikanerin und lebt seit 18 Jahren in DeutschlandSchwärmen ist relativ, aber klar, Barack Obama ist viel besser als Bush. Der Schaden, den der angerichtet hat, ist riesengroß. Zum Glück haben die Amis diese Lottomentalität – Obama, ein Supergewinn, yes we can.

Natürlich, ich bin auch frustriert, wenn ich an den Krieg in Afghanistan denke und all das. Aber ich habe nicht erwartet, dass Obama ein Zauberer ist, der kommt, und alles wird gut. Er ist Politiker und kein Popstar, auch wenn ihn die Medien so behandeln. Toll ist, dass man bei ihm das Gefühl hat, er ist auch Mensch. Die Cowboymentalität der Bush-Ära, die ist bei Obama nicht. Er bleibt ruhig in diesem Haifischbecken der Politik und Weltpolitik – auf jeden Fall ein Job, den ich nicht haben möchte.

Elias Bierdel, 49, Vorstand der Menschenrechts-NGO „borderline europe“, davor Cap Anamur Der Mann ist ein Glücksfall, auch wenn er nicht alles hinkriegen wird, was er sich vorgenommen hat. Nach der bleiernen Bush-Ära hat uns Obama erinnert, dass es jenseits des Trauerspiels der ewig gleichen Visagen auch bei uns noch etwas anderes geben könnte: Begeisterung, Aufrichtigkeit, Mut, Intelligenz. Damit fordert der neue US-Präsident auch das „Alte Europa“ mit seinen ausgelaugten Eliten und seinen Regierungen, die täglich dokumentieren, dass sie den Herausforderungen unserer Zeit nicht gewachsen sind, heraus.

Eva Quistorp, 63, ist Mitbegründerin der deutschen Frauen- und FriedensbewegungIch bin pro Obama, weil er kein Engel sein kann. Da er schon so einen Druck von rechts kriegt, werde ich doch keinen von links machen wie einige meiner US-Friedensfreunde. Obama muss so viel gleichzeitig lösen und auf alle politisch Rücksicht nehmen.

Obamas Reden haben neue Standards gesetzt. Da ist ein Politiker, der sich für kooperatives Handeln in der Globalisierung ausspricht und gegen Finanz-, Klima-, Menschenrechtskrisen. Und Afghanistan, das ist eine komplizierte Sache. Da möchte ich die Wahrheit nicht pachten.

Es ist falsch, ohne Analyse der Machtstrukturen zu debattieren, ob Obama ein Held oder Versager ist. Die Bürgergesellschaften, die sozialen Bewegungen sollten Obama nicht all die gordischen Knoten, die in den letzten Jahrzehnten geknüpft wurden, allein lösen lassen. Yes we can – damit sind wir gemeint.

Nein

Dagmar Herzog, 48, ist Geschichts-professorin an der City Univer-sity in New YorkDie Republikaner lachen sich ins Fäustchen. Es ist ihnen völlig egal, was Obama macht. Hauptsache, er scheitert. Was Obama auch vorschlägt, je kompromissbereiter er sich zeigt, das Gezeter hebt an. Seine Gesundheitsreformen seien nazistisch. Ein von der Regierung organisiertes Arbeitsplatzbeschaffungsprojekt wäre sozialistisch. Sein Vorhaben, Terrorangeklagte vor zivilen Gerichten zu verhandeln, bedrohe die Sicherheit der USA. Indes: Man müsse unbedingt den Afghanistankrieg erweitern.

Kompromissbereitschaft gehört zu guter Politik. Obama wiegte sich aber beim Amtsantritt in der Hoffung, er könne die Hand über Parteigrenzen ausstrecken, und sie wird dankbar angenommen. So ist es nicht gekommen. Weil Republikaner den Ton angeben, bewegt sich Obama – und damit das Land – immer weiter nach rechts.

Angelika Beer, 52, ist Mitbegründerin der Grünen und wechselte kürzlich zur PiratenparteiSchwärmen ist Entpolitisierung. Dabei bräuchte Obama jetzt gesellschaftlichen und politischen Druck, um seinen Worten auch Taten folgen zu lassen. Die EU findet Obama gut und verzichtet auf eigene Friedensstrategien nach dem Motto: „Warten auf Obama“. Das Vergabekomitee des Friedensnobelpreises findet ihn gut und zeichnet ihn für Worte, aber nicht für Taten aus.

Bis heute hat Obama etwa das Osloer Abkommen zum Verbot aller Minen nicht unterzeichnet. Welch Affront gegen die internationale Kampagne gegen Landminen, die doch denselben Nobelpreis für die Ächtung von Antipersonenminen bekam. Eine echte Friedenspolitik braucht unsere kritische Unterstützung. Und das ist mehr als Schwärmen!

Yonas Endrias, geboren in Eritrea, ist Menschenrechtler und Antirassismus-Aktivist in DeutschlandBarack Obama ist Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Nicht mehr und nicht weniger. Er kann nichts dafür, dass viele in ihm einen Messias sehen, der alle Probleme der Welt lösen soll. Wir tun ihm Unrecht, wenn wir ihn an unseren Träumen und Sehnsüchten messen. Er wird die Welt nicht von der Klimakatastrophe erlösen. Er wird auch keine gerechte Weltwirtschaftsordnung herbeizaubern. Trotzdem gehöre ich zu denen, die seine Inaugurationsfeier mit Tränen verfolgten. Ich habe mich gefreut, dass ein Schwarzer Präsident der Vereinigten Staaten wurde.

Aber Obama ist nun mal Präsident der USA und allem, was dazugehört: Wallstreet, Military Industrial Complex, Ku-Klux-Klan. Er ist wie ein Lamm, das plötzlich Präsident der Wölfe geworden ist und auch noch deren Interessen vertreten muss. Kein Grund zu schwärmen.

Boris Schlensker, 42, ist Sozialpädagoge, taz.de-User und hat das Thema online kommentiertObama ist das Produkt einer hervorragenden Marketingkampagne, der auch die deutsche Öffentlichkeit aufgesessen ist. Obama lässt sich von Kalten Kriegern wie Brzezinski und neoliberalen Ökonomen beraten und beließ Bush-Freund Gates im Pentagon. Die marginalen Differenzen im US-amerikanischen Zweiparteiensystem und der Einfluss von Lobbygruppen der Pharma-, Finanz-, Biotech- und Militärindustrie verhindern einen tatsächlichen Politikwechsel. Die Macht der Konzerne, ob Goldman Sachs, Monsanto, General Motors oder Blackwater, wird auch Obama nicht brechen.