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Archiv-Artikel

Furcht vor dem Muezzin

RELIGION Ein Drittel der Deutschen hat laut einer Umfrage der ARD Angst vor einer Expansion des Islam. Manche Muslime sehen in dem Ergebnis aber eine Chance

„Wir müssen raus aus dieser Opfer- und Meckerrolle“

MELIH KESMEN, DESIGNER

VON FRANZISKA LANGHAMMER

Jeder dritte Deutsche hat Angst vor der Ausbreitung des Islam. Das ergab eine dimap-Umfrage, welche die ARD in Auftrag gegeben hatte. 1.000 wahlberechtigten Deutschen wurde bundesweit die Frage gestellt: Machen Sie sich große, wenig oder gar keine Sorgen, dass sich der Islam in unserer Gesellschaft zu stark ausbreitet? 36 Prozent gaben an, sich große Sorgen zu machen, 39 Prozent antworteten mit „ein wenig Sorge“. Nur 22 Prozent der Befragten sahen im Islam kein Problem.

Für Muslime in Deutschland ist das Ergebnis keine Überraschung. „Es spiegelt wider, was ich als Betroffener empfinde“, sagt etwa Ferit Demir, der das Internetportal „Myumma“ für junge Muslime gegründet hat. Vor allem in den Medien werde vom Islam ein Schreckensbild gezeichnet, Ursache dafür sei mangelndes Wissen. Seit dem 11. September sei der Fokus der Medien auf das gerichtet, was in der islamischen Welt schieflaufe. „Größtenteils werden ja Dinge publiziert, die negativ besetzt sind“, sagt Demir, „natürlich ist dann das Gesamtbild dementsprechend.“ Gleichzeitig sieht er in Umfrageergebnissen wie diesen die Chance, eine allgemeine Beschäftigung mit dem Thema anzustoßen: „Es könnte ein konstruktiver Beitrag dafür sein, dass sich Muslime fragen, was schiefläuft“, sagt Demir, „und auch für die deutsche Bevölkerung, sich über die Massenmedien hinaus mit dem Islam auseinanderzusetzen.“

Auch Bekir Alboga, Sprecher des Koordinationsrats der Muslime in Deutschland, macht vor allem Fernsehen und Zeitungen verantwortlich für die um sich greifende Skepsis. Schon vor Jahren hätte der Rat Politik und Kirchen darum gebeten, ein Stärkerwerden der Angst vor dem Islam zu bekämpfen. „Ich glaube nicht, dass die Mehrheit der Deutschen islamfeindlich ist, sondern dass sie Angst hat, weil sie einseitig informiert ist“, sagt er. Die Art und Weise der Darstellung des Islam in den Medien sei nicht sachgerecht. Dass es etwa Zwangsheiraten gäbe, will Alboga nicht bestreiten. „Aber das ist die kleinste Summe“, sagt er, „der Islam wird in den Medien gleichgesetzt mit der Unterdrückung der Frau, was nicht stimmt.“ Die „Islamophobie“, die sich anscheinend immer mehr ausbreite in Deutschland, müsse sehr genau beobachtet werden. „Seit fünfzig Jahren leben Muslime in Deutschland“, sagt Alboga, „Es kann nicht sein, dass sie plötzlich dargestellt werden als ein Phänomen, vor dem man Angst haben muss.“

Nicht nur ein Stimmungsbild in der deutschen Bevölkerung gibt die ARD-Umfrage ab. Sie sagt auch viel darüber aus, wie in Deutschland mit Muslimen umgegangen wird. „Ob an Blicken, Sprüchen oder an Absagen bei der Wohnungssuche“, sagt Melih Kesmen, „das sind Dinge, die ich am eigenen Leib spüre.“ Der 33-jährige Grafikdesigner ist Gründer des Modelabels „StyleIslam“, das Kleidung für junge Muslime entwirft. Ursachen für die Angst vor einem expandierende Islam sieht er nicht nur in der Darstellung der Medien: „Zum Teil sind die Muslime selbst daran schuld, weil sie ihren eigenen Glauben nicht genug kennen und entsprechend vorleben“, sagt er.

Im Grunde wolle die islamische Religion den Menschen zu einem besseren Bürger erziehen. Viele Muslime haben Kesmens Meinung nach den Draht zur Essenz des Islam verloren. „Ehrenmorde zum Beispiel sind so was von unislamisch“, sagt er, „Im Koran ist es ausdrücklich verboten, einen Menschen zu töten.“ Auch in der Diskussion mit seinen Freunden, zu denen Studenten, Künstler und Ärzte zählen, sei die Angst vor dem Islam immer wieder ein Thema. Gleichzeitig will Kesmen sich nicht als passiver Teilnehmer einer Debatte am Rande der Gesellschaft sehen: „Wir müssen raus aus dieser Opfer- und Meckerrolle.“

Vor kurzem hat Melih Kesmen nachgerechnet: Er lebt schon länger als die Bundeskanzlerin in Deutschland. „Lächerlich, dass ich mir Gedanken über Integration machen muss“, findet er.