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Alexis Tsipras vor einem Triumph

REFERENDUM Mit kubanischen Revolutionsgesängen begrüßen die Linken in Athen die ersten Zahlen zum Ausgang des Referendums. Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande treffen sich am Montag zur Krisensitzung in Paris

AUS ATHEN UND BRÜSSEL Jannis Papadimitriou, Ulrike Fokken und Eric Bonse

Nach ersten Schätzungen von Meinungsforschungsinstituten für Athener Fernsehsender hat sich bei dem Referendum das „Nein“ durchgesetzt. Danach lehnte eine knappe Mehrheit von etwa 51 bis 53 Prozent der Griechen die Sparvorschläge der internationalen Geldgeber ab. Es handelte sich allerdings lediglich um eine Umfrage, nicht um eine Hochrechnung.

Schon am frühen Nachmittag war die gesetzlich vorgesehene Mindestbeteiligung von 40 Prozent erreicht worden. „Allein durch diese große Beteiligung des Volkes wird jeder Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Volksabstimmung beseitigt“, erklärte Nikos Filis, Fraktionssprecher der regierenden Linkspartei Syriza. Davor hatte der Europarat die Rechtmäßigkeit des Athener Referendums und insbesondere die komplizierte Fragestellung und die ungewöhnlich kurze Wahlkampfdauer kritisiert.

Am Rande des Athener Syntagma-Platzes vor dem griechischen Parlament tönten kubanische Revolutionslieder von den Taten des Comandante Che Guevara. Doch noch brandete kein Beifall für das „Oxi“ auf. Es schien, als wenn niemand die Revolution begreift, die die Griechen mit ihrem Nein in Europa auslösen werden. „Natürlich bleiben wir im Euro“, sagte der griechische Innenminister George Katrougalos zur taz. „Ich bin sehr froh über das klare Ergebnis für ein Nein, denn es vermeidet eine nationale Spaltung“, sagte Katrougalos. Er sei hochzufrieden mit dem Ergebnis des Referendums, vor allem auch, weil das Referendum „nicht nur um Griechenland ging, sondern um Europa“, wie er sagte.

Bliebe es bei diesem Ergebnis, käme dies einem Triumph für den griechischen Regierungschef Alexis Tsipras gleich, der den Volksentscheid offenbar im Alleingang beschlossen hatte und auch sein ganzes Gewicht in die Waagschale geworfen hat, um dem „Nein“ zum Sieg zu verhelfen. Allerdings fällt das Ergebnis derart knapp aus, dass Tsipras weiterhin mit Widerstand für seinen radikalen Kurs rechnen muss.

Noch vor wenigen Tagen hatte der Linkspolitiker erklärt, im Fall eines „Nein“-Siegs am Sonntag würde eine Einigung mit den Geldgebern erleichtert. Finanzminister Gianis Varoufakis hat sich am Sonntag sogar optimistisch gezeigt, dass bei einem „Nein“ eine Einigung mit den Kreditgebern innerhalb von 24 Stunden möglich wäre. Nach diesem Ergebnis gilt als sicher, dass Regierungschef Tsipras bei seinem harten Kurs gegenüber den Geldgebern bleibt.

Freude auch bei den Unterstützern der Vereinigten Volksfront EPAM, einem Bündnis von gemäßigten Rechten und Linken gegen die Austeritätspolitik. Seit Tagen hatten sie einen Stand auf dem Syntagma und warben für ein „Nein“, selbst wenn sie mit Tsipras und der Syriza-Regierung sonst nicht einer Meinung sind. „Schade, dass die Mehrheit so knapp ist“, sagte Thanassis Negas von EPAM. „Ich hatte gehofft, dass die Mehrheit größer ist, damit das Referendum mehr Menschen in Europa aufweckt.“ „Die Jasager, die EU, setzen Angst in die Seele der Menschen“, hat Negas beobachtet, und diese Angst vor einem Leben ohne Euro habe die Leute davon abgehalten, ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen. „Mit einem Nein zu den Sparplänen werden wir nicht aus dem Euro fliegen“, sagte er. Und wenn schon, denn eigentlich wollen er und viele andere Griechen zurück zur Drachme, um das Land wirtschaftlich wieder wettbewerbsfähig zu machen.

Einen Zwischenfall gab es im Athener Vorort Haidari, als Stavros Theodorakis, Vorsitzende der betont europafreundlichen sozialdemokratischen Partei To Potami, seine Stimme für das Referendum abgeben wollte – in einer Schule, die als Wahllokal diente. Aufgebrachte Menschen forderten ihn auf, das Gebäude sofort zu verlassen. „Hier ist eine griechische Schule, die deutsche Schule ist ein Stück weiter, da sollst du hin“, schrien sie. Auch das ein Zeichen für die Spaltung der griechischen Gesellschaft in Ja- und Neinsager.

Für den späten Sonntagabend war ein Treffen von Finanzminister Gianis Varoufakis mit führenden Bankenvertretern geplant. Bei dem Gespräch sollte die aktuelle Lage des Bankensystems und vor allem die Frage erörtert werden, ob und wann die Geldinstitute in Griechenland wieder öffnen.

Betretenes Schweigen. So reagierte die EU in Brüssel auf erste Meldungen, dass das „Nein“ beim Referendum in Griechenland gesiegt habe. Selbst Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD), der vor den Folgen des „Oxi“ gewarnt hatte, hielt sich bedeckt. Martin Selmayr, der Kabinettschef von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, begnügte sich damit, die ersten Schätzungen per Twitter weiterzugeben.

Diese Nichtreaktion war keine Überraschung. Schließlich hatten Schulz und Juncker vehement für ein „Ja“ geworben. Nur so lasse sich Griechenland noch im Euro halten, hatten die beiden EU-Präsidenten gewarnt. Allerdings hatte am Wochenende ein dritter EU-Chef, Ratspräsident Donald Tusk, widersprochen: Ein Nein bedeute keinen Rausschmiss aus der Währungsunion, betonte der Pole.

Frankreich hatte sich zuletzt dafür eingesetzt, den Gesprächsfaden zur griechischen Regierung nicht abreißen zu lassen. Demgegenüber hatte Deutschland gefordert, alle Kontakte bis zum Referendum abzubrechen – und sich damit in der Eurogruppe durchgesetzt. Nun muss Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wohl umdenken: Bereits am Montag reist sie nach Paris, um mit dem französischen Staatschef François Hollande das Vorgehen abzusprechen. Bisher hatten alle wichtigen Treffen zur Griechenland-Krise in Berlin oder Brüssel stattgefunden. Doch nun könnten sich die Akzente verschieben.

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