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Mozart, von Aliens entführt und seziert

KONFRONTATION Benedikt von Peters mit Extremen arbeitende Inszenierung von „Les Robots Ne Connaissent Pas Le Blues oder Die Entführung aus dem Serail“ am Theater Bremen hinterfragt die Kunstform Oper und vergleicht sie gar mit der Altenpflege und deren personellem Notstand

Wenn gleich nach der Ouvertüre der Titel des Abends offenherzig als Missverständnis bezeichnet wird und einer die Kunstform „Oper“ mit der Altenpflege vergleicht, weil auch die nur mit jeder Menge Personal aus dem Ausland aufrecht zu erhalten ist: dann ist man mittendrin in der nächsten Stufe des Langzeitprojekts von Benedikt von Peter, der das Genre Oper schon in der jüngeren Vergangenheit auf seine Möglichkeiten befragt hat. Auch dass er Mozarts „türkische Musik“ als Fake-Oriental-Pop seiner Zeit versteht und mit einem Elektro-trifft-Saz-Stück kontrastiert, gehört zu seinem Stil – sowie die Tatsache, dass statt der großen Liebesarie ein Pet-Shop-Boys-Song erklingt, der die romantische Liebe als bürgerliche Konstruktion entlarvt.

Aber bei der Inszenierung von „Les Robots Ne Connaissent Pas Le Blues oder Die Entführung aus dem Serail“ am Theater Bremen geht er einen entscheidenden Schritt weiter. Denn er und GMD Markus Poschner fügen sich da in ein Regie-Kollektiv ein, das aus Künstlern unterschiedlichster Herkünfte besteht: Das Duo Gintersdorfer/Klaßen brachte sein deutsch-ivorisches Performer-Team mit. Und Ted Gaier von den Goldenen Zitronen hatte seine Saz und einen Sack voll elektronischer Beats dabei.

Und auch wenn der Abend den Stationen des Mozart-Librettos folgt, bleibt doch ansonsten kein Ton auf dem anderen. Der Ouvertüre folgt Text – viel Text, mit dem programmatischen Refrain: „Die Oper singt von der Liebe, wir singen die Analyse!“

Wo sogar eine radikale Dekonstruktion wie von Peters „La Boheme“ innerhalb der Parameter von Musiktheater funktioniert, wird Mozart hier quasi von Aliens entführt und seziert. Zentralperspektive und Sitzordnung im Theater sind aufgelöst, Hauke Heumann singt eine Mozart-Arie, Hyojong Kim aus dem Opernensemble muss sich von Eric Parfait Francis Taregue alias SKelly ruppig in die Rhythmik und Melodik des Coupé Decalé einweisen lassen. Nicole Chevalier singt im Liegen, und das Publikum darf sich immer wieder neu positionieren, um die Mischung aus Elektronik und Klassik, aus Orchester und Computer, aus Tanz und Gesang in sich aufzunehmen.

So anstrengend es klingen könnte, so hinreißend wirkt es, so euphorisierend. Denn dieser Mix gibt Gedankenfreiheit – nicht nur, weil man als Opernsängerin endlich mal eigenen Text sagen darf, sondern weil die Inszenierung das utopische Moment Mozarts herausarbeitet und weiter denkt. Misslich nur, dass keiner weiß, ob dieser Abend noch einmal zu sehen sein wird. Nach den beiden Vorstellungen am vergangenen Wochenende sind zunächst keine weiteren Termine geplant. Immerhin sollen schon Häuser in Berlin und Hamburg Interesse an Gastspielen geäußert haben.

Andreas Schnell

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