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Der rote Faden Regime der Angst

Nächste WocheDaniel Schulz Foto: Helena Wimmer

Durch die Woche mit

Robert Misik

Wem gehört eigentlich der Euro? Wir sehen in diesen Tagen, dass er weder den Bürgern Europas gehört noch den Mitgliedsstaaten der Eurozone, sondern einer supranationalen Institution, der Europäischen Zentralbank, die ihn wie ihr exklusives Privateigentum behandelt. Und diese sendet an die Bürger Europas gerade folgendes Signal: „Er gehört euch nicht, ihr dürft ihn nur benutzen, aber auch das nur so lange, wie wir euch das gestatten.“

Als Bürger der Eurozone ist der Euro somit für mich eine Währung wie jede andere, wie etwa der Dollar. Auch den darf ich benutzen, auch wenn er nicht „meine“ Währung ist, sondern die der US-Amerikaner. Und der Euro ist eben genauso wenig „meine“ Währung, sondern die der Frankfurter Zentralbank.

Man kann zu keinem anderen Schluss kommen in diesen Tagen, in denen die EZB die griechischen Banken und damit die griechischen Bürger von ihrem Zahlungsmittel abschneidet. Denn die griechischen Banken sind illiquide, also nicht insolvent. Um das zu verstehen, muss man ein paar falsche Bilder geraderücken, die wir alle instinktiv im Kopf haben: etwa dass, wenn Bürger ihre Guthaben bei der Bank beheben, die Bank „Werte“ verliert. Das tut sie aber nicht. Denn die Guthaben sind Zahlungsverpflichtungen, die die Bank gegenüber den Einlegern hat, und nicht umgekehrt.

Das heißt: Es sind Zahlungsverpflichtungen, denen sie potenziell jederzeit nachkommen muss, und keine Werte in den Büchern der Bank. Werte in den Büchern der Bank sind die Zahlungsverpflichtungen, die andere bei der Bank haben.

Insolvent kann eine Bank nur werden, wenn die Zahlungs­verpflichtungen, die andere gegenüber der Bank haben, sich durch Massenpleiten in Luft auflösen, während die Zahlungsverpflichtungen der Bank unverändert bleiben. Das ist aber in Griechenland nicht der Fall –und wenn es der Fall sein sollte, wird dieser Fall ein von der EZB aktiv herbeigeführter Fall sein.

Die Botschaft richtet sich somit nicht nur an die Griechen, sondern selbstverständlich an alle in der Eurozone: „Wir können euch in eine Katastrophe schicken, wenn ihr euch nicht benehmt (wenn ihr also die falsche Regierung wählt), weil das wichtigste Schmiermittel eures Wirtschaftskreislaufes gehört uns, nicht euch, und wir zögern nicht, euch dieses Schmiermittel zu entziehen –auch, wenn uns die Regeln darauf verpflichten, für Liquidität zu sorgen. Denn diese Regeln kümmern uns nicht.“

Man muss das in seiner unerhörten Tragweite erst einmal recht begreifen: Heute kommt jede bulgarische Bank leichter zu Euros als die griechischen Banken, obwohl Bulgarien kein Mitglied der Eurozone ist, Griechenland hingegen schon. Hier leuchtet diese Wahrheit in aller Grellheit: Griechen, Bulgaren, aber auch Österreicher und Italiener und alle anderen sind nur Benützer des Euro –Eigentümer sind die Banktechnokraten in Frankfurt.

Diese Logik der Drohung mit dem Schlimmsten (eine Drohung, die jedem gilt, der Unterschied ist nur, dass es gegenüber den Griechen nicht bei der Drohung blieb) erinnert an Heinz Budes Großessay „Gesellschaft der Angst“, in dem er die Angst beschreibt, die heute alle bei der Stange hält. Wer im Hamsterrad läuft, tut das ja nicht, weil er mit irgendeinem positiven Versprechen geködert wird („Wohlstand“, „Aufstieg“), sondern weil er mit der täglichen Drohung des Absturzes diszipliniert wird. Diese Angst ist allgegenwärtig, sogar wenn es keine Instanz gibt, die im strengen Sinn Angst schürt. Aber diese Allgegenwart der Angst, die zur Signatur unseres Zeitalters geworden ist, hat freilich doch zur Folge, dass die herrschenden Eliten zum Zwecke der gesellschaftlichen Disziplinierung heute vorwiegend auf Angstmache und Drohung setzen.

Eine Politik der Angst.

Es geht folglich bei alldem nicht um die Griechen allein, sondern um das zeitgenössische Regime der Angst. Man sollte erwarten, dass Progressive, also auch selbst rechte Sozialdemokraten, an diesem Punkt aufstehen: gegen den neuen deutschen Na­tionalismus („Wir sind solide –ihr müsst Hausaufgaben machen!“), für die ökonomische Vernunft, gegen den Irrsinn der konfliktiven Verschärfung von Leuten wie Schäuble & Co.

Die SPD unter ihrem Vorsitzenden Sigmar Gabriel hat in diesem für Europa historischen Augenblick auf eine Weise versagt, die man nicht für möglich gehalten hätte. Und das aus rein opportunistischen Gründen. Der Taktiker Gabriel kalkuliert bauernschlau, dass selbst unter SPD-Wählern viele „gegen die Griechen“ sind (und redet denen nach dem Mund), ohne zu bedenken, dass das natürlich kein Wunder ist, wenn man stets bei der antigriechischen Verhetzung mitmacht, statt für einen Weg der Vernunft zu argumentieren. Ich sehe nicht recht, wie Gabriel dieses welt­historische Versagen politisch langfristig überleben soll.

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