BERLINER SZENEN: Commerzbank macht dicht
Eine Kundenanalyse
Die Commerzbank am Kotti macht dicht. Vor mir am Schalter steht ein ganz alter Mann mit einem grauen Sechstagebart und in einem trotz seiner fülligen Figur um ihn wie ein Beduinenzelt hängenden grauen Anzug. Er ist Palästinenser. Das sehe ich an seinem Palästinensertuch, das er um den Hals gewickelt hat. Er studiert einen Kontoauszug. Sehr lange und ausführlich. Er scheint zu keinem Ergebnis zu kommen. Eine Frau hinter dem Schalter gibt es nicht. Dafür einen Fernseher, auf dem ntv läuft mit den aktuellen Börsendaten. Zwei Commerzbankfrauen, die aber nicht so aussehen wie in der Werbung und auch lange nicht so fit, daddeln an ihren Computern herum.
Dann steht eine Transe vor mir, auch unrasiert und bereits in Rente. Sie trägt beige Schmalcordhosen, eine weite Wolljacke, Slipper, eine Handtasche am Armgelenk. Ich bin überrascht von der tiefen Stimme, als sie auf meine Frage „Niemand da?“ antwortet „Nee du!“.
Die für den Publikumsverkehr zuständige Frau steht mit einer Kopftuchfrau vor dem Geldautomaten und erklärt etwas. Es scheint aber nichts zu nützen, denn irgendwann kommt der Chef aus einem Hinterzimmer, um die Sache in die Hand zu nehmen, gibt aber nach kurzer Zeit auf, nachdem er die Tresenfrau an ihren Tresen zurückbeordert hat. Dann kommt ein ganz kleiner Mann rein. Höchstens 1,45 Meter. Auch schon alt. Er trägt eine Schiebermütze, weißes Hemd und weiße Seemannshosen. Er setzt sich, schlägt die Beine übereinander und zieht aus seinem Strumpf, in dem er früher wahrscheinlich ein Messer stecken hatte, einen Überweisungsschein.
Die Transe verzieht das Gesicht, und auf dem steht: „Was ist das denn für einer?“ Das würde mich auch interessieren. Und auf einmal wird mir klar, warum die Commerzbank am Kotti schließt.
Klaus Bittermann
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