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Archiv-Artikel

Veganer oder Menschenfresser

DEBATTE Man kann den Fleischverzehr genial finden, weil er Unverdauliches essbar macht, oder Wahnsinn, weil er sich nicht vom Genuss der eigenen Artgenossen unterscheidetPro und Contra von Gernot Knödler und Benno Schirrmeister

Fleisch zu essen, ist in Verruf geraten. Dabei ist der Verzehr von Fleisch und tierischen Produkten genial. Zudem ist der Mensch darauf ausgelegt: Wer ganz auf tierische Produkte verzichtet, muss zu Tabletten greifen.

Dass über den Fleischverzehr diskutiert wird, ist an der Zeit. Dabei müsste eigentlich vor allem über die Fleischerzeugung gesprochen werden, denn hier liegen die größten Probleme: Ein großer Teil der Schweine und Hühner wird zu fragwürdigen Bedingungen gehalten und geschlachtet. Der Anbau des Mastfutters – sei es Soja aus den Tropen oder Mais aus Deutschland – laugt die Böden aus, er zerstört die biologische Vielfalt und das Klima. Und mit dem Aufwand, der für ein Kilo Fleisch betrieben wird, ließen sich reichlich vegetarische Mahlzeiten bestreiten.

Entscheidend ist, wo, in welchen Mengen welches Fleisch verzehrt wird. Das Geniale am Fleisch ist, dass es Menschen ermöglicht, in Gebieten zu überleben, die sie sonst nicht besiedeln könnten. Rinder und Schafe veredeln das Grasland der Great Plains in den USA oder der Mongolei in Nahrung, die der Mensch verwerten kann. Wovon sollten die Inuit in der Arktis leben, wenn nicht vom Fleisch der Fische und Robben?

Dagegen, Tiere zu essen, die artgerecht gehalten oder gejagt werden, spricht allenfalls ein moralisches Argument – allerdings eines auf wackeligen Beinen. Denn der Mensch kann nur überleben, indem er tötet: die Bazillen, die seinen Organismus befallen, das Ungeziefer, das seine Behausungen heimsucht, die Raubtiere, die ihm nach dem Leben trachten. Der Mensch jagt, hält und schlachtet Tiere seit Jahrtausenden? Zudem isst er sie nicht nur, sondern gewinnt daraus auch noch Rohstoffe. Welchen Sinn hat ein Tötungsverbot unter diesen Umständen?

Gedanken machen sollten sich die Käufer von Fleisch und Milchprodukten allerdings über das Maß ihres Konsums. Erst der überbordende Fleischverzehr macht fragwürdige landwirtschaftliche Praktiken nötig, um die Nachfrage befriedigen zu können. Das Gleiche gilt für die Überfischung der Meere.

Dazu kommt beim Fleischverzehr der gesundheitliche Aspekt. Wissenschaftliche Studien deuten darauf hin, dass es gesünder ist, nicht jeden Tag Fleisch oder Wurst zu essen. Wer außerdem noch auf Milch und Eier verzichtet, also ganz von pflanzlichen Produkten (vegan) lebt, handelt sich aber auch ein Problem ein: Er muss sich mit Hilfe von Tabletten mit dem Vitamin B 12 versorgen. Neuerdings geht das aber auch mit Zahnpasta.GERNOT KNÖDLER

Dass Fleischverzehr letztlich Anthropophagie ist, hat Jacques Derrida mit aller methodischen Strenge bewiesen. Und wenn das so ist, dann wäre erst dasjenige Argument für Carnivorismus stichhaltig, das zugleich den uneingeschränkten Verzehr von Menschen geboten erscheinen ließe. Ehrlich gesagt: Mir ist lieber, dieses Argument bleibt unter Verschluss. Auch wenn es sicher total lecker schmeckt. Also: Fleisch.

Jenseits davon ist es völlig sinnlos, sich über Fleischverzehr zu streiten. Es gibt ja kein rationales Argument dafür: Die Annahme, dass es schon in Ordnung wäre, Fleisch zu essen, die Grundlage dafür, dass es eine weit verbreitete, gesellschaftlich akzeptierte Praxis ist, ist reinste Metaphysik, oder genau genommen ein Glaubenssatz, von einem ähnlich hohen Realitätsgehalt wie die Lehre von der Jungfrauengeburt: dass der Mensch um seiner selbst willen, die Tiere aber für ihn geschaffen wären, dass es einen Wesensunterschied gäbe, ist die Grundannahme, auf der Fleischesser sich Ihr Schnitzel braten.

Physiologisch lässt sich dieser imaginäre Wesensunterschied sehr viel schwerer behaupten, als der von Lende, Leber oder Zunge: Hätte Hausschwein andere Eiweißverbindungen als Westmensch? Schmecken Sie, ob Ihr Bloc de foie gras einer Stopfgans entnommen wurde – oder doch einem Bulimiker?

Nein, tun Sie nicht. Gewissheit gibt’s erst auf genetischer Ebene, und man sollte sich vorm Versuch hüten, mit dieser Differenz die Legitimationslücke zu überwinden: Auch Menschentiere weisen ja, mit all ihren Nulli-, Mono- und Trisomien ein ganzes Spektrum Chromosomensätze auf.

Nun sind religiöse Dogmen und Wahnsinn der Vernunft kaum zugänglich: Sie können gegenüber einem Katholiken die Jungfrauengeburt verspotten und einen Fleischesser mit der Erinnerung daran quälen, dass er den Klimawandel mehr vorantreibt als ein Kohlekraftwerk. Aber das hilft nichts. Das befriedigt nur Ihren persönlichen Sadismus. Schließlich weiß er das alles längst. Es ist ihm bekannt, dass Fleischessen nicht gesünder ist als Rauchen, dass es die Regenwaldrodung beschleunigt und den Hunger der Welt vermehrt. Davon, dass die Fleischindustrie eine zutiefst antisoziale Branche ist, hat er auch gehört. Und schon als Kind hat er gelernt, nie ein Tier zum Lustgewinn, also aus Scherz, zu quälen. Aber: Es schmeckt halt so gut. Kannste nix gegen sagen. Und musst dich fast freuen, dass du nicht selber angeknabbert wirst. BENNO SCHIRRMEISTER