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Archiv-Artikel

Pro Bahn entgleist

Pro Bahn gilt als ehrenwerter Verein. Stets im Dienste des Fahrgasts, zuständig für dessen Wohl im Zug und auf dem Bahnhof. Das heißt für den Verein auch, gegen Stuttgart 21 zu sein. Aber jetzt will sich der langjährige Vorsitzende Karl-Peter Naumann von der Bahn AG bezahlen lassen. Für den Stuttgarter Regionalverband ein unerträglicher Seitenwechsel

von Josef Otto Freudenreich

Die bange Frage in der Stuttgarter Kellerschenke lautet: Werden sie uns steinigen? Die Antwort geht in Richtung Ja. Das Häuflein der Aufrechten hat's wirklich nicht leicht, das da sitzt und überlegt, wie sie als Pro Bahn das Kunststück fertigbringen, dem Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 zu verklickern, dass ihr Ehrenvorsitzender von der Deutschen Bahn AG (DB) bezahlt werden soll. Indirekt zwar nur, aber halt doch. „Da glaubt uns doch keiner mehr“, sagt Sabine Lacher. Sie ist die Schatzmeisterin im Regionalverband Stuttgart, und der ist Mitglied im Aktionsbündnis – neben Grünen und linken Stadträten, unermüdlichen Parkschützern und renitenten SPD-Genossen..

Der Vorgang ist tatsächlich, vorsichtig ausgedrückt, schwer vermittelbar. Karl-Peter Naumann, jener Ehrenvorsitzende, war von 1996 bis 2012 Chef des Fahrgastverbands. „Mr. Pro Bahn“ gar, weil er es bisweilen bis in die „Tagesschau“ und zur TV-Köchin Sarah Wiener geschafft hat. Ehrfurchtsvoll nur KPN gekürzelt. Ein verdienstvoller Mann, berichten sie in der Kellerschenke. Sogar bei der Geißler-Schlichtung war er dabei, wenn auch nur im Wartestand. Aber das jetzt … Das jetzt hängt mit dem Schicksal zusammen, das auch Normalsterbliche ereilen kann. Sein Arbeitgeber, ein pharmazeutisches Labor, hatte 2011 keine Verwendung mehr für den 62-jährigen Diplom-Chemiker, worauf er sich nach anderen Erwerbsquellen umschauen musste.

Das sollte, in einem ersten Anlauf, die Bahn Anfang vergangenen Jahres richten. Gedacht war an einen Beraterjob bei der Konzerntochter DB Training, mit dem DB-Chef Rüdiger Grube helfen wollte. Einerseits war er Naumann gewogen, von Hamburger zu Hamburger, andererseits erinnerte er sich an seinen Vorgänger Hartmut Mehdorn, der gerne Kritiker einkaufte. Das beste Beispiel war Norbert Hansen, der langjährige Vorsitzende der Eisenbahner-Gewerkschaft Transnet, den Mehdorn 2008 zum hoch dotierten Arbeitsdirektor beförderte.

Ein Fall für den „Fonds für soziale Sicherung“

Aber womöglich war's gerade diese Personalie, die noch in den Köpfen von Pro Bahn steckte. Ein neuer Fall Hansen, den wollte sich der 5.000-Mitglieder-Verband nicht antun. Wegen der Unabhängigkeit und der Glaubwürdigkeit. Die Folge: Im März 2012 wurde der Vorsitzende abgelöst und zum Ehrenvorsitzenden gemacht. Doch das Problem war damit nicht behoben, der Arbeitslose war immer noch unbeschäftigt, und deshalb brauchte es eine neue Idee. Sie hört auf den Namen „Sicherheit im Bahnverkehr“ (SiB), ist ein Projekt der DB AG und soll von der Eisenbahn-Verkehrsgewerkschaft EVG über den „Fonds soziale Sicherung“ , der von der Bahn gespeist wird, abgewickelt werden. Kostenpunkt 360.000 Euro, Projektleiter Karl-Peter Naumann, Laufzeit 38 Monate. Dafür soll der Hamburger bei Pro Bahn angestellt werden, also passend bis zum Erreichen des Rentenalters. Und so beschloss es der Bundesvorstand am 11. August 2012.

Sicherheit im Bahnverkehr, das hört sich gut an, nur scheint keineswegs klar zu sein, worum es sich dabei handelt. Klemmende Weichen, zu enge Kurvenradien, bröckelnde Bahnsteige sollen es nicht sein. So viel steht fest. Eher das Wohlgefühl im Zug und auf dem Bahnhof. Mehr als eine Projektskizze sei es nicht, heißt es bei den Kritikern, und was Naumann dafür qualifiziere, erschließe sich ihnen auch nicht. Beantwortet hat ihnen das der Bundesvorstand. Die Gewerkschaft EVG wünsche Naumann als Leiter, ohne ihn komme das Projekt nicht zustande. Basta.

Nun muss man dazu wissen, dass die Heeresleitung von Pro Bahn ziemlich zerstritten ist. Dahinter steckt der Grundkonflikt, ob man eine „Bürgerbahn für alle“ will, ergo strikt gegen die Privatisierung, oder eben ein Fahrgastverband ist. Der Landesverband Berlin/Brandenburg kämpft zusammen mit Rheinland-Pfalz/Saarland gegen den Bundesvorstand, beschimpft ihn als „bolschewistisches Politbüro“, der neue Vorsitzende Jörg Bruchertseifer sagt, sie sollen sich einen „anderen Verein“ suchen. Bayern und Niedersachsen sind für ihn, Nordrhein-Westfalen sollte schon mal ausgeschlossen werden, wegen Ausplauderns von Interna. Das sieht stark nach Spaltung aus, und das fördert den Informationsfluss nicht.

In der Causa Naumann ging der eine oder andere Vorständler noch davon aus, dass an eine Teilzeitbeschäftigung gedacht war, vergleichbar mit „Frau A. im Berliner Büro“. Sie kostet, samt Geschäftsstelle, 23.000 Euro im Jahr. Eine 360.000-Euro-Kraft würde den Jahresetat um das Dreifache anheben, die Gemeinnützigkeit aufs Spiel setzen und den Fahrgastverband zur Filiale Grubes machen. Doch an der Beschlusslage hat sich bis heute nichts geändert, was den stellvertretenden Bundesvorsitzenden Heiner Monheim (Trier) jüngst veranlasst hat, mit Aplomb zurückzutreten. Der angesehene Verkehrswissenschaftler sprach von „maximaler Trickserei“ und „Selbstbedienung“, erinnerte an die „gekaufte Republik“ und daran, dass das Ansehen von Pro Bahn „in hohem Maße gefährdet ist“.

In Stuttgart sind sie richtig stinkig auf Naumann

In Stuttgart sehen das die Mitglieder genauso. Zum einen geißeln sie das „konspirative Handeln“ ihres Bundesvorstands, zum andern sind sie „richtig stinkig“ (Schatzmeisterin Lacher) auf ihren Ehrenvorsitzenden, dem sie in der Landeshauptstadt den roten Teppich ausgerollt haben. Im Oktober 2010 durfte sich Naumann bei der Großdemo gegen Stuttgart 21 präsentieren, als energischer Gegner („Wir wollen oben bleiben“), der weder den „Lügen“ von Stefan Mappus noch denen von Volker Kefer glauben wollte. Ende Dezember 2010 spendierten sie ihm ein Essen in Vincent Klinks Nobelrestaurant Wielandshöhe, um dann zwei Jahre später zu erfahren, dass Naumann seinem Gönner Grube den „Fahrgastpreis 2012“ verliehen hat. Für die Wiederentdeckung des „Brot- und Buttergeschäfts“ bei der Bahn und weil er engagiert daran arbeite, den öffentlichen Verkehr „attraktiver“ zu gestalten. Dass sich ihr KPN jetzt auch noch bei der DB-Lobbyorganisation Allianz pro Schiene wiederfindet – als stellvertretender Vorsitzender – hat sie nicht mehr überrascht: In der Allianz sammeln sich unter anderen die Betreiber von Stuttgart 21, der Tunnelbohrer Herrenknecht und das Bauunternehmen Leonhard Weiss.

Von da an war „Feierabend“ für die Stuttgarter Aktivisten. 66 Kilometer Tunnel, entgleiste Züge im Hauptbahnhof, wacklige Dächer, desaströser Pendlerverkehr, aber ein Preis für Brot und Butter. Das haben sie nicht mehr auf die Reihe gebracht und dies ihrem Vorstand in Berlin auch geschrieben, der dafür freilich kein Verständnis hatte. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun, wurde ihnen mitgeteilt. So haben sie sich auf ihre Weise beholfen. Mit einer schriftlichen Befragung der Basis Ende vergangenen Jahres. Sie wollten wissen, wer dafür ist, dass Pro Bahn „überhaupt kein Geld“ von der DB AG annimmt, egal ob direkt oder auf Umwegen. Das Ergebnis war recht eindeutig: 66,7 Prozent stimmten dafür, Stand 9. Januar 2013.

Die Berliner Häuptlinge werden sich davon kaum beeindrucken lassen. Da wolle eine Minderheit „Fundamentalopposition“ betreiben, den gesamten Kurs von Pro Bahn ändern, zurück zur Bundesbahn, sagt Vorstandsmitglied Alexander Drewes. Wenn die Konsequenz hieße, dass sich der Verein spalte, sei dies das „kleinere Übel“. Und ein DB-Sprecher lässt wissen, der Ehrenvorsitzende Naumann könne sich auch künftig kritisch äußern. Selbstverständlich. Das wird die Freunde vom Aktionsbündnis nicht beruhigen. Eher schon die Antwort eines schwäbischen Pro-Bahners, der dafür ist, dass sein Verein so viel Geld wie möglich von der DB annimmt – „und alles sofort wieder für eine Kampagne gegen S 21 raushaut“.