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Mit Autorenn-Spiel zum Lernerfolg

AUSBILDUNG Trotz großem Ausbildungsangebot sind manche Jugendliche schwer vermittelbar. Mit Projekten wie dem Fahrsimulator „Fullmotion“ oder der „bezahlBar“ erhalten sie eine Chance. Und bewähren sich meist erfolgreich

von Niels Holsten

Die Hamburger Agentur für Arbeit meldet immer mehr freie Ausbildungsstellen aber immer weniger Bewerber. Deren Chef Sönke Fock erklärt, der Ausbildungsmarkt schwanke zwischen „‘roter Teppich‘ und ‚total überlaufen‘“. „Mismatch“ nennt er diese Situation – Wunsch und Wirklichkeit passen nicht zusammen. Viele stürzen sich auf wenige beliebte Berufe, die unbeliebten bleiben unbeachtet.

Als „Mismatch“ könnte auch die Situation von einer Gruppe von Jugendlichen bezeichnet werden, die trotz freier Lehrstellen keine Chance auf dem Ausbildungsmarkt hat.

Sie kommen aus schwierigen sozialen Lagen, haben keinen oder einen schlechten Schulabschluss, und entsprechen auch sonst nicht sonderlich den Erwartungen von Betrieben. „Viele haben es nicht mit der Pünktlichkeit oder immer häufiger psychische Probleme“, sagt Mathias Keil, Ausbilder bei Jugendbildung Hamburg. „Manche haben einfach schon aufgrund ihrer beengten Wohnsituation nie gelernt zu lernen“. Das Schulsystem würde in einer verarmten Gesellschaft nicht mehr greifen und versagen.

Britta Hinz, Geschäftsführerin vom Jugend- und Bildungswerk der Arbeiterwohlfahrt Hamburg, bringt es so auf den Punkt: „Manche eignen sich einfach nicht für eine betriebliche Ausbildung“. Beide versuchen diese Jugendliche dennoch zu einem gelungenen Start ins Berufsleben zu verhelfen.

Motiviert durch einenechten Auftrag

Das Jugend- und Bildungswerk bietet dieser Gruppe von Jugendlichen seit 30 Jahren die Möglichkeit zur Berufsorientierung und -qualifizierung. 2014 schlossen 16 Jugendliche ihre komplette Ausbildung unter dem Dach der Arbeiterwohlfahrt ab.

Ausgebildet wird in den Berufen Konstruktionsmechaniker, Metalltechniker und Fachinformatiker. Wobei der Konstruktionsmechaniker aktuell nicht mehr angeboten wird: „Das war zu anspruchsvoll“, wie Britta Hinz sagt.

Gedacht sei eigentlich, die Auszubildenden nach ein bis eineinhalb Jahren an einen regulären Betrieb weiter zu vermitteln. Aber „das klappt in der Regel nicht“, sagt Hinz. Die Jugendlichen bräuchten meist länger um sich an die Bedingungen zu gewöhnen. Dafür bedürfe es auch besonderer Motivationshilfen.

Aus ihrer persönlichen Neigung zu Autorenn-Spielen, auch Racing-Spiele genannt, „muss sich doch was machen lassen“, dachte sich Hinz und initiierte so eine Kooperation der besonderen Art.

In Zusammenarbeit mit dem Verein Deutscher Ingenieure und der Helmut-Schmidt-Universität entwickelten ihre Auszubildenden fachübergreifend den Fahrsimulator „Fullmotion“. Dafür wurden Metallschrott, Spenderrechner, Monitore und „open source“-Software verbaut und mit gebrauchten Autositzen eines Autoverwerters verbunden. „Diese Lebendigkeit des echten Auftrags bekommt man sonst so nicht“, sagt Keil. Das Begreifen von und Miteinander sei ein echter Vorteil.

Am Ende der Ausbildung seien sie für den Arbeitsmarkt bereit: „Die meisten finden dann auch einen Job“, so die 52-jährige Betriebswirtin.

Ähnliche Erfahrungen macht Mathias Keil: „Es bringt Spaß dabei zu zu gucken, wie die Jugendlichen sich entwickeln“. Ein Schlüssel für den Erfolg sieht Keil darin, dass die Jugendlichen in ihren Sorgen begleitet würden: „Wir arbeiten täglich daran, wie wir Probleme lösen können“. Hätten viele zu Anfang „keinen Bock“ darauf, würden sie sich irgendwann auf die Arbeit freuen.

Auch für Keil ist das richtige „Matching“ ganz wichtig. Manche hätten zum Beispiel Angst mit mehr als fünf Leuten zusammen zu arbeiten: „Dann muss ich gucken, wo passt der hin“, so Keil.

Ein erfolgreiches Projekt von Jugendbildung Hamburg feierte Anfang Juni sein fünfjähriges Bestehen. In der „bezahlBAR“ in der Barmbeker Habichtstraße erhalten acht Auszubildende eine praxisnahe Ausbildung im Verkauf von Waren aller Art.

Die „bezahlBAR“ versteht sich als soziales Einkaufs- und Servicecenter. Auf 180 Quadratmeter werden Textilien, Accessoires, Haushaltswaren und Spielzeug an bedürftige Menschen verkauft.

Die Waren stammen aus Spenden privater Art, aber auch von manchen namhaften Firmen. „Wir wollten auch in einer der ärmsten Ecken Hamburgs ein Angebot schaffen, und so auch ärmere Menschen ein bisschen glücklicher machen“, sagt der gelernte Einkäufer und Lehrer Keil.

Und zwar mit Waren von guter Qualität. Einkaufen darf hier, wer weniger als 850 Euro Einkommen hat. Der bekommt dann eine Kundenkarte und kann hier so Artikel für 20 Euro einkaufen, die woanders gerne mal 100 Euro kosten. „Der Durchschnittsbon beträgt 60 Cent“, sagt Keil.

46.000 Artikel gingen so 2014 über die Theke. 2500 Kundenkarten haben mittlerweile einen Besitzer gefunden.

Was in den Verkauf geht und zu welchem Preis, bestimmen die Auszubildenden selbst. „Die Jugendlichen kennen die Marktpreise, kommen ja meist selbst aus dem Milieu“, sagt der 55-jährige. Der Geschäftssinn sei dabei nicht besonders ausgeprägt, sie würden eher sehr human an die Sache herangehen: „Es gibt ein großes Mitgefühl und viel Solidarität“, so Keil. Trotzdem trage sich das Projekt mittlerweile.

Und wenn sich am Ende auch nicht ein roter Teppich ausrollt, so bietet sich doch eine Chance. Über 90 Prozent der Auszubildenden der bezahlBAR schaffen es später in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis.

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