: Das Gewicht des Lebens
KUNST Feuer, Stein und Zeichenstift: Der Bildhauer Jimmie Durham nutzt alles, was der Fall ist, und dichtet schöne Titel hinzu. Spielerisch und leicht seine Skulpturen und Filme im Neuen Berliner Kunstverein
Katrin Bettina Müller
Wie verortet man sich? Jimmie Durham gibt in seiner Ausstellung „Here at the center“ im Neuen Berliner Kunstverein gleich mehrere Antworten. Die erste findet man auf einem Siebdruck mit dem Titel „Sie sind hier“, der mit seinen Linien, Raumeinteilungen und deutschsprachigen Beschriftungen an einen Stadtplan erinnert. Oder ist es doch eher eine Sammlung erinnerter Grundrisse und historischer Topografien, fragt man sich, wenn man zu lesen beginnt: Grabbeltisch, Glücksrad, Sachbearbeiter, Verletzte, Schlachtfeld, Blatt und Blüte heißen die Straßen und Plätze.
Nicht weit davon hat Durham auf die Wand gezeichnet, eine müde zerfließende Figur, deren Konturen durchhängen wie ausgeleiert, Augen und Mund aus Schraubdeckeln gebildet. Zusammen mit dem Titel „The Weight of all Flesh“ kann man sich dies als eine Zustandsbeschreibung des Alterns vorstellen, des Wunsches, sich einfach an Ort und Stelle der Schwere zu überlassen.
Europa als Herrenmagazin
Jimmie Durham, 1940 in den USA geboren, war sein Leben lang viel unterwegs, auch in Europa. „In Europe“ heißt ein Buch, das er für die Ausstellung in der n.b.k. gestaltet hat, lapidar und unpathetisch, eine Sammlung von Fotografien, die ihn mit europäischen Symbolen und vor allem dem Schriftzug Europa zeigen. Der steht auf Bussen, Bauschildern, es gibt die Pizza Europa und die Schokolade, Euro-Gourmet und das Herrenmagazin Euroman. Je länger man in diesem Fotobuch blättert, desto mehr erhält man den Eindruck von einem Europa, das seine besten Zeiten hinter sich hat, als Werbeträger schon etwas angestaubt, das Abrutschen in die Resterampe aber einigermaßen lässig und entspannt hinnimmt.
Als Durham in den 1980er Jahren als Bildhauer international bekannt wurde, spielte für den Blick auf seine Skulpturen aus Steinen und Tierschädeln eine große Rolle, dass er sich als Bürgerrechtsaktivist für die Rechte der indigenen Völker eingesetzt und sie bei den Vereinten Nationen vertreten hat. Aber man sollte sich hüten, das Elementare seiner Materialien wie Stein, Knochen und Holz zu romantisieren als Spur einer archaischen Kultur. Denn er setzt deren Kräfte gerne in ein ironisches und dramatisches Verhältnis zu den Artefakten der Zivilisation und der Gegenwart.
Ein Tisch verbrennt
In der Ausstellung zeugen davon die Arbeiten „Coffee-Table“ und „Sound Piece with Bullet“. Auf einem zierlichen Tischchen steht eine Espressokanne im Video „Coffee-Table“ (2010). Um das Wasser zum Kochen zu bringen, brennt ein Feuer unter dem Tisch, das diesen aber nach und nach verbrennt. Da geht es um elementare Energien, ihre gestalterischen und zerstörerischen Kräfte, um den Blick auf Ressourcen und ihre Verschwendung am falschen Ort – das verkohlte Tischchen tut einem am Ende leid, das Feuerholz nicht. Obwohl große Themen berührt werden, bleibt die Form lapidar. Mit ähnlichem Witz spielt er in „Sound Piece with Bullet“ (2012) auf den Kult um die Waffen an. Eine Patrone ist auf einen Granitblock gerichtet, ein handgeschriebenes Plakat gibt eine Anleitung, sich den Lärm des Schusses auf den Stein vorzustellen. Viele Sinne werden so beteiligt.
Nach und nach entschlüsselt sich in der Ausstellung, wie sehr der Künstler mit seiner Geschichte und seinen Erfahrungen in den Arbeiten präsent ist. In der Videoinstallation „Songs of My Childhood“ (2014) sieht und hört man ihn singen, einen alten Mann. Die Lieder erkennt man beinahe alle, aber hier sind sie geteilt in „Songs to keep“ und „Songs to get rid of“, darunter viele patriotische, militärverherrlichende und christlichen Gehorsam feiernde Ohrwürmer. Die Videoinstallation hat etwas von einem sanften Exorzismus gegenüber amerikanischen Nationalismen.
Auf zartem Grund
Die Wände der Ausstellung sind übrigens in einem zarten Lila grundiert, die Projektionen nur teilweise in abgedunkelten Räumen, andere vermischen sich mit Tageslicht. Zum Beispiel die Hommage an ein Stillleben, wie es in der europäischen Malerei oft aus Blumen und Früchten gebildet wird: blass ist die Projektion von „Still Life with Architectural Elements“ und überraschend, denn plötzlich fallen weitere Früchte ins Bild und erweisen sich als bemalte Steine, die schließlich die Inszenierung zerschlagen.
Sosehr es stimmt, Durham als einen kritischen und politischen Künstler zu sehen, der sich mit Machtverhältnissen, Nationalismus, Rassismus und Naturzerstörung auseinandergesetzt hat, so zeigt er sich doch in seiner Berliner Ausstellung nicht als verbitterter oder zynischer Geist. Ist es Altersmilde, die diesen Eindruck hervorbringt?
Nein, vielmehr die Fähigkeit, das eigene Tun zu reflektieren und den Blick aus der Distanz miteinzubeziehen in die Arbeit. Sie sind nie nur Behauptung, sondern auch Infragestellung und Zurücknahme. Deshalb bringt es so viel, sich mit Jimmie Durham zu beschäftigen.
n.b.k.,Di.–So. 12–18 Uhr, Do. 12–20 Uhr, bis 2. August. „In Europe“, Band 17 der n.b.k. Schriftenreihe, 19,80 Euro
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