SO GEHT LITERATURKRITIK : Verlotterte Oma
In einem Kreuzberger Frühstückscafé in Ruhe die Frühstückszeitung Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung lesen zu können, gehört zu den modernen Mythen des Kreuzberger Alltagslebens. Erstens, weil Peter Richter von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung nur darauf wartet, dass ich in einem Kreuzberger Frühstückscafé sitze und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung lese, damit ich seine Häme über das von mir herausgegebene Buch „Unter Zonis. Zwanzig Jahre reichen jetzt so langsam mal wieder“ mitkriege. Das Buch hat ihn offenbar persönlich beleidigt, denn er beleidigt zurück: „Der offenbar nicht ohne Grund sich so nennende Bittermann sieht aus wie eine verlotterte Oma.“ Schließlich wohne ich ja auch in der Grimmstraße, denke ich.
Harry Rowohlt hätte jetzt sofort einen Leserbrief geschrieben und ihn in der Zeit veröffentlicht. Ich schreibe keinen, bin aber schwer beeindruckt vom außergewöhnlich hohen Niveau der Literaturkritik in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, wenngleich es nicht an das der BamS heranreicht, wo der Walser-Biograf Jörg Magenau als Jörg Gaggenau bezeichnet wird. Da kann ich ja froh sein, dass Peter Richter wenigstens meinen Namen richtig geschrieben hat.
Zweitens fällt das Lesen schwer, weil am Nachbartisch ein Paar so laut quatscht, dass man sich nicht auf die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung konzentrieren kann. Er: „Wen sollen wir zu unserer Hochzeit einladen?“ Sie: „Mein Schatz, du kannst einladen, wen du willst. Aber wenn deine bescheuerten Exen mit ihren fetten Ärschen und ihren Omafrisuren kommen, dann kannst du ohne mich feiern.“ Ich bin noch schwerer beeindruckt als von Peter Richter und denke, die Frau sollte vielleicht bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung anheuern. Aber wahrscheinlich arbeitet sie da schon.
KLAUS BITTERMANN