Zäher Neubeginn

Die Jüdische Gemeinde Bochum legt 67 Jahre nach der Reichspogromnacht den Grundstein für eine neue Synagoge – nicht ohne Nebengeräusche

VON HOLGER PAULER

Das Gedenken an die Reichspogromnacht, die heute vor 67 Jahren das Fanal zur systematischen Vernichtung jüdischen Lebens in Deutschland gab, steht in Bochum unter besonderen Vorzeichen. Vor genau einer Woche wurde der Antifaschist Johannes Bienert vor dem Bochumer Amtsgericht zu einer Strafe von 150 Euro verurteilt. Bienert, Zeuge der Pogromnacht, hatte am 9. November 2004 mit vier Personen einen Kranz über die Wattenscheider Fußgängerzone getragen und an der Gedenktafel der zerstörten Synagoge niedergelegt. Die Versammlung sei nicht angemeldet gewesen, lautete die Begründung. Mit Blick auf das Datum, könnte man das Verhalten des Verantwortlichen wohlwollend als zumindest unsensibel beurteilen.

„Das Urteil passt auch politisch nicht in diese Zeit“, sagt Hubert Schneider, emeritierter Historiker der Ruhruniversität Bochum und als Gründer des Vereins „Erinnern für die Zukunft“, Chronist des jüdischen Lebens. 60 Jahre nach Auschwitz, bemüht sich die Gesellschaft, jüdisches Leben wieder sichtbar zu machen. Im vergangenen Jahr wurde am 9. November der Grundstein für den Neubau der Synagoge in Gelsenkirchen gelegt und heute am 67. Jahrestag der Zerstörung der alten Synagoge – angesichts von Terminschwierigkeiten des NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU) wurde der Spatenstich nun auf den 14. November verschoben – soll die neue Synagoge in Bochum folgen. Am Tag der Zerstörung des ehemaligen Zentrums jüdischen Gemeindelebens soll also ein neues Zentrum entstehen.

„Die Neubauten sind vor allem eine gesellschaftspolitische Entscheidung“, sagt Hubert Schneider. Sie sind eher ein „Produkt der Mehrheitsgesellschaft“, als der Jüdischen Gemeinden selber. Es ist ein Symbol der Wiedergutmachung und gleichzeitig ein Ausdruck der Hilflosigkeit der Menschen. „In den Zeiten, in den es wichtig gewesen wäre, nach dem Krieg fand keine Aufarbeitung statt“, so Schneider. Nun sammelt ein eigens gegründeter „Freundeskreis der Bochumer Synagoge“ Spenden zur Finanzierung des Neubaus. Bochums Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz (SPD) und Ministerpräsident Rüttgers werden neben dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, Ilan Mor als Gesandter der israelischen Botschaft und der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Grigory Rabinovich am Spatenstich teilnehmen.

Und wie reagieren die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Bochums? Ein Großteil der Überlebenden des Holocausts, die nach Bochum zurück kehrten, blieb nicht lange dort. Sie emigrierten in die USA, nach Südamerika oder nach Israel. 1947 hatte Jüdische Gemeinde Bochum gerade noch 55 Mitglieder. Anfang der 1980er Jahre schien jüdisches Leben in Deutschland keine Zukunft mehr zu haben. Erst der Zuzug jüdisch gläubiger Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion sorgte für eine Renaissance des Judentums in Deutschland. Mittlerweile ist die Zahl auf 1.200 angestiegen.

Die Angehörigen der Überlebenden des Holocausts haben keinen Kontakt mehr zur aktuellen Gemeinde. Man freue sich zwar über den Neubau, vereinzelt werde auch gespendet, „bei einem Großteil herrscht aber die Meinung vor, dass diejenigen, die die alte Synagoge zerstört haben, auch für den Neubau aufkommen sollen“, beschreibt Hubert Schneider das Gefühlsleben der Nachfahren der ehemaligen Gemeindemitglieder.

Proteste gegen den Neubau gab es auch: Im Jahr 2004 marschierten Mitglieder der rechtsextremen NPD gemeinsam mit militanten Neonazis gegen den Neubau der Bochumer Synagoge auf. Der Vize-Chef der NRW-NPD, Claus Cremer hielt eine antisemitische Rede. Später wurde er wegen Volksverhetzung verurteilt. Vielleicht hätten sich die Bochumer Amtsrichter zumindest daran erinnern sollen.