Bedingungen für Bleiberecht sind unerfüllbar

Die NRW-Bleiberechtsinitiative wird den meisten Flüchtlingsfamilien nicht helfen, sagen Experten. Denn auch lange hier lebenden und voll integrierten Menschen verweigern die Ausländerbehörden regelmäßig eine Arbeitserlaubnis

KÖLN taz ■ Idee gut, Ausführung mangelhaft: In ihrem Urteil über die Bleiberechtsinitiative von NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP) sind sich die Experten einig. „Die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht sind von kaum einem Asylbewerber erfüllbar“, beklagt Angela Tieben, Flüchtlingsreferentin beim Diözesancaritasverband Münster. Auch Iris Biesewinkel vom Kölner Rom e.V. kritisiert, wegen des faktischen Arbeitsverbots für die meisten Flüchtlinge sei die Initiative zum Scheitern verurteilt. „Das ist genau der Haken.“

Am vergangenen Wochenende hatte Wolf angekündigt, auf der nächsten Innenministerkonferenz (IMK) im Dezember eine Altfallregelung für Flüchtlinge vorzuschlagen, die mindestens sechs Jahre straffrei in Deutschland leben – wenn sie einen unbefristeten, sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz haben. Anlass für die Initiative sind laut Wolfs Sprecher Ludger Harmeier die zunehmenden Beschwerden gegen Abschiebungen von unbescholtenen und integrierten Bürgern (taz berichtete).

Allerdings: In kaum einem der Fälle, die in jüngster Zeit Schlagzeilen machten, weil Freunde, Mitschüler und Nachbarn gegen Abschiebungen protestierten, wird der Wolf-Erlass etwas ändern. Im Kreis Siegen-Wittgenstein etwa protestierten vor zwölf Tagen 200 Schüler und Erwachsene vor dem Haus einer von Abschiebung bedrohten Familie aus Kosovo „und zeigten so ihre Solidarität“, so der Pressesprecher des Kreises, Hans-Peter Langer. Er selbst bezeichnet den Fall der Familie als „tragisch“: Die Kinder „haben sich sehr gut in den Schulen integriert“, sie seien hier groß geworden und „wissen gar nicht, was sie im Kosovo erwartet“. Trotzdem werden sie wohl eher früher als später dorthin abgeschoben. Die Wolf-Initiative, so sie denn eine Mehrheit bei der IMK bekommt, greift hier nicht: Weil der Vater seit 13 Jahren keine Arbeitserlaubnis bekommt, muss die Familie von Sozialhilfe leben. „Das ist ein Teufelskreis“, weiß Langer.

In dem lebt auch die Roma-Familie Idic aus Düsseldorf. Die Familie ist ein Musterbeispiel für gelungene Integration: seit 13 Jahren in Deutschland, die Kinder sprechen nur Deutsch, die älteste Tochter macht bald Abitur, Vater und Mutter hatten immer Arbeit und konnten sich und die vier Kinder ernähren. Ein Fall für den Wolf-Erlass sind sie trotzdem nicht. 2004 entzog die Düsseldorfer Ausländerbehörde den Eltern die Arbeitserlaubnis. Am Freitag wurde die Familie aufs Amt bestellt, der Vater verhaftet. Gestern Vormittag wurde er nach Belgrad abgeschoben.

„Das ist eine Farce! Hier wird faktisch Heimatlosigkeit, Desintegration und Entwurzelung produziert – und das an dem Tag, an dem die Zeitungen über Wolfs Altfallregelung berichten“, sagt Biesewinkel vom Rom e.V. Ähnlich wie Familie Idic könnte es bald einer Familie aus Altenberge ergehen. Seit 16 Jahren leben die Eltern mit fünf Kindern im Kreis Steinfurt. Arbeiten dürfen die kosovarischen Kriegsflüchtlinge nicht. „Deshalb ist es geradezu zynisch, das zur Voraussetzung für ein Bleiberecht zu machen“, sagt Norbert Eilinghoff. Er und seine Frau haben nach der missglückten Abschiebung der Familie Ende September die Elterninitiative „Gemeinsam leben – gemeinsam lernen e.V.“ gegründet.

Von den dramatischen Umständen der Fast-Abschiebung aufgerüttelt, wollen sich die Altenberger nun für ein generelles Bleiberecht einsetzen. „Wir dürfen nicht wegschauen und zur Tagesordnung übergehen, wenn frühmorgens unsere Nachbarn abgeholt und wegtransportiert werden“, heißt es auf der Unterschriftenliste der Initiative.SUSANNE GANNOTT