: Auf einen Pfeffi ins Bezirksamt
BÜRGERNÄHE Bei der „Nacht der Politik“ im Rathaus Lichtenberg gibt es jede Menge Informationen. Und Likör. Ein Rundgang
VON FELIX AUSTEN
Im Gedränge vor der Tür zum Ratssaal trete ich Dieter Reichelt versehentlich auf den Fuß. Übel nimmt er es mir nicht, im Gegenteil: Er begleitet mich fortan durch die „Nacht der Politik“ im Lichtenberger Rathaus. Absprechen müssen wir nichts, die Rollen verteilen sich von selbst: Reichelt, Anfang sechzig und Sozialarbeiter in Marzahn, erzählt. Ich höre zu. Immerhin wohnt er seit 15 Jahren in Lichtenberg, und ich bin seit einem Monat in Berlin.
Eigentlich ist die „Nacht der Politik“, die das Bezirksamt seit einigen Jahren regelmäßig veranstaltet, gar keine Nacht: Beginn 18 Uhr, Ende gegen 22 Uhr. So lange haben die LichtenbergerInnen Zeit, sich einmal die Amtszimmer ihrer Bürgermeister anzusehen, Gespräche mit Bezirksverordneten zu führen und über die Probleme des Bezirks diskutieren. Etwas zu essen gibt es auch. Und Musik.
„Mit so einem Andrang haben wir nicht gerechnet“, sagt Wilfried Nünthel, Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, ins Mikro des Ratssaals, „aber schön, dass Sie alle gekommen sind.“ Tatsächlich ist der Saal bis auf den letzten Stuhl besetzt. An den Wänden und in der Tür stehen noch mehr. Zwischen zwei- und dreihundert Menschen mögen gekommen sein. Was er von der Begegnung der Regierten mit den Regierenden halte, frage ich Reichelt. „Nicht viel“, entgegnet er unaufgeregt. Wie man es besser machen könnte? „Ich halte es wie Brecht: Problem erkennen, nachdenken, Problem lösen.“
„Müssen wir so hetzen?“
Erster Punkt auf der Agenda: eine Diskussion über die Zukunft des Sanierungsgebiets Frankfurter Allee Nord. Auf dem 25-Hektar-Areal stehen die ehemalige Stasizentrale, ein altes Krankenhaus und jede Menge Wohnblocks. Dafür gibt es kaum Spielplätze, Erholungsorte, Infrastruktur. Das Gebiet wurde bereits in das Förderprogramm „Stadtumbau Ost“ des Bundes aufgenommen. Nach einem Infomarathon aus Zahlen, Grafiken und Fachwörtern der erste Zwischenruf: „Müssen wir so durchs Programm hetzen?“
Auch wir schalten einen Gang herunter und machen uns auf den Weg zum Buffet. Dieter Reichelt ist erkältet und möchte die Redner mit seinem Husten nicht stören. Im Treppenhaus spielt ein Trompetenduo „Freude schöner Götterfunken“, im zweiten Stock gibt es Würste und Gulasch, für Vegetarier für mich eine Brezel. „Ist noch nicht so angekommen hier im Osten, das mit dem Vegetarischen“, erklärt Reichelt. Im Hintergrund singt eine Frau mit blonder Dauerwelle und Pelzstiefeln Abba.
Auf dem Weg durch die Gänge des Bezirksamts erzählt mir Reichelt von seinem Heimatbezirk: von der Frankfurter Allee, über die einst die Rote Armee in die Stadt einfiel, von den alten Hallenbädern, deren Erhalt so teuer sei. Vom vietnamesischen Dong-Xuan-Markt und vom Tierheim: „Schön geräumig, die Tiere leben da nicht so zusammengepfercht.
Tiefer im Rathaus, wohin sich kaum mehr Besucher verirren, hat in einem Raum der SPD auch die sozialistische Jugend „Falken“ einen Tisch. Flyer und Broschüren stapeln sich darauf. „Vorhin waren zwei Nazis hier und haben Aufkleber geklaut“, empört sich eine Falkin. „Das passiert jedes Jahr. Da sieht man, wie präsent das Problem hier ist.“
Reichelt und ich streifen weiter durch das Gebäude, vorbei am Büro der Grünen mit gesund aussehenden Snacks, dem schon früh geschlossenen Raum der CDU, bis in den Fraktionsraum der Linken. Hier gibt es Glühwein mit Schuss für 50 Cent. „Die SPD nimmt einen Euro“, sagt die Ausschenkerin und lacht. Dann redet sie über den Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Und die massiven Stellenkürzungen in der Verwaltung: „Manche Studenten warten ein halbes Jahr auf ihr Bafög, weil es zu wenige Sachbearbeiter gibt.“
Bier und Likör
Irgendwann hat Dieter Reichelt genug gesehen und gezeigt: „Wenn de mich nicht mehr brauchst, geh ich jetzt, unser Hund wartet.“ Kein Problem. Im hintersten Zimmer, dem der Piraten, ist auch noch was los, es gibt Bier und Pfefferminzlikör. Linke und Piraten stehen zusammen und diskutieren über die Geschichte des Wortes „Genosse“, bis ein Pirat sein Smartphone in die Runde hält und per Wikipedia die Debatte erstickt.
„Aus Lichtenberg wird immer nur Schlechtes berichtet“, beklagt ein Linker, „Nazischlägereien, Kriminalität. Dabei läuft auch einiges gut hier.“ Und dass so wenige Besucher bis zu ihnen fänden, sei schon schade: „Das ist mehr ein Austausch unter uns.“ Auch gut: Die Runde stößt noch mal mit einem Pfeffi an.