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Archiv-Artikel

Tausche Uni mit Umwelt

Die große Koalition einigt sich auf eine kleine Staatsreform – auf Kosten einer ziemlich riskanten Bildungsreform

Waffen- und Sprengstoffrecht bleibt wie Atomgesetz beim Bund. Neue Kompetenzen für BKA

AUS BERLIN GEORG LÖWISCH

Für eine beamtete Mathelehrerin aus Freiburg, die nach Saarbrücken ziehen will, läuft es bisher so: Ein Bundesgesetz schreibt vor, dass die einzelnen Bundesländer ihren Beamten dasselbe zahlen müssen. Mit der Föderalismusreform, die Union und SPD in den Koalitionsverhandlungen nun festgezurrt haben, könnte es vorbei sein mit der Einheitlichkeit. Denn dann sind allein die Länder für die Besoldung ihrer Beamten zuständig: Sie können sparen, die armen Länder mehr, die reichen weniger. Jede Lehrerin wird sich gut überlegen, ob sie in ein armes Land wechselt. Wenn in zehn Jahren knapp 300.000 neue Lehrkräfte eingestellt werden müssen, wie es die Kultusministerkonferenz errechnet hat, könnte Baden-Württemberg dann wieder mit hoher Bezahlung winken – das Saarland wird es schwer haben.

Das ist nur ein Beispiel für die weit reichenden Folgen der bevorstehenden Föderalismusreform. Drei Jahre lang haben Politiker aus Bund und den 16 Ländern darüber verhandelt, wie die Zuständigkeiten in Deutschland entflochten werden können. Der Bundesrat soll seltener die Gesetze des Bundestags blockieren können, die Landtage sollen wieder mehr gestalten können und die Bürger erkennen, wer für was verantwortlich ist. Um diese Ziele zu erreichen, riskiert die große Koalition, dass sich regionale Unterschiede vergrößern – etwa im Hochschulsystem. Zugleich ist fraglich, ob die Gesetzgebungsmaschinerie tatsächlich so vereinfacht wird, wie erhofft. Das Projekt wäre dann bloß eine kleine Staatsreform – auf Kosten einer einschneidenden Bildungsreform.

Bisher entscheidet der Bundesrat bei etwa 60 Prozent der Bundesgesetze mit. Die Länder können ein Gesetz selbst dann blockieren, wenn sie von der Sache her nicht zuständig ist: Ein neues Recht muss sich nur auf das Verwaltungsverfahren und damit die Landesbehörden auswirken. Diese Regel soll wegfallen, dafür können die Länder das Gesetz verwaltungstechnisch selbstständig umsetzen. Jedoch darf der Bundesrat weiter ein Veto einlegen, wenn die Länder zahlen müssen: Nämlich dann, so heißt es im Ergebnispapier der Koalitions-Unterhändler, wenn Bundesgesetze die Länder Geld oder geldwerte Sachleistungen kosten. Ebenso Dienstleistungen, „die zu einer erheblichen Kostenbelastung der Länder führen“. Doch was ist erheblich? Unter diesem Vorwand könnte sich eine blockadewillige Bundesratsmehrheit so oft einmischen, dass die Quote der Zustimmungs-Gesetze am Ende höher liegt als die nun angestrebten 35 bis 40 Prozent.

Naturgemäß muss bei einer Entflechtung jede Seite Zuständigkeiten abgeben, dafür gewinnt sie andere hinzu. Der Bund bekommt Kompetenzen beim Umweltrecht (siehe Text unten). Oder auch bei der Terrorbekämpfung: Das Bundeskriminalamt soll eingreifen dürfen, wenn eine „länderübergreifende Gefahr“ vorliegt, keine Landespolizei eindeutig zuständig ist oder ein Land um Hilfe bittet. Alleinige Bundeskompetenz werden Waffen- und Sprengstoffrecht sowie Nutzung der Atomkraft. Ladenschluss- und Gaststättenrecht, Strafvollzug, Versammlungsrecht und Presserecht sollen reine Ländersache sein.

Der wichtigste Bereich, in dem der Bund Zuständigkeiten verliert, ist die Bildung. Bisher sind zwar schon die Länder für die Hochschulen verantwortlich. Doch über ein so genanntes Rahmengesetz kann der Bund Grundsätze festlegen. Solche Rahmengesetze soll es künftig nicht mehr geben. Die Länder gebieten allein über Bezahlung und Arbeitsbedingungen ihrer Professoren. Auch der Hochschulbau geht den Bund nichts mehr an – nur ein paar Großprojekte bleiben. Der Bund soll nur Abschlüsse und Zugangsvoraussetzungen regeln. Absurd: Hier sollen die Länder doch abweichende Gesetze machen dürfen.

Für die Reform ist eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich. Für diese ganz große Koalition brauchen Union und SPD auch die FDP, die sich bisher recht freundlich äußert. Ärger droht den Föderalismusreformern von Bildungspolitikern der SPD. Noch-Ministerin Edelgard Bulmahn sprach gestern in der SPD-Fraktion von „Fehlentscheidungen“.