Ikone: Die Erfindung von Neil Young

Als "A Man Needs A Maid" noch "A Man Feels Afraid" hieß: Neil Young öffnet sein Archiv und bringt das sensationelle "Live At Massey Hall 1971" heraus.

Ein Mann braucht eine Frau: Neil Young 2006 Bild: Warner Music

Die Erfindung von Neil Young
Als "A Man Needs A Maid" noch "A Man Feels Afraid" hieß: Neil Young öffnet sein Archiv und bringt das sensationelle "Live At Massey Hall 1971" heraus. Hier kann man jener Künstlerpersönlichkeit beim Entstehen zuschauen, die ihn kurz darauf mit dem Album "Harvest" zum Superstar machen sollte

VON CHRISTOPH GURK

Als Mitglied von Crosby, Stills, Nash & Young hatte er sicher bereits öfter Einsicht in die Schrullen seines Bandkollegen nehmen dürfen. Merkwürdig berührt war Graham Nash dennoch, als er im Herbst 1971 bei einem Besuch auf Neil Youngs legendärer Broken-Arrow-Ranch zu einer Bootstour auf einem anliegenden See geladen wurde. Schon befürchte er, Young könnte die Enge einer Nussschale als Ort für eine ernsthafte Aussprache gewählt haben, der er nicht entrinnen sollte. Aber nachdem sein Gastgeber ein Stückweit ins Offene gerudert war, dröhnte plötzlich Country-Rock in brachialer Lautstärke über das Gelände. Young hatte zwei Gebäude auf dem Grundstück mit so vielen nach außen gerichteten Lautsprechern aufgerüstet, dass sich die Farm in die überdimensionierte Outdoor-Variante eines Musikzimmers verwandelte. Das Wohnhaus diente als linker und die benachbarte Scheune als rechter Kanal. Vom Boot aus brüllte Young seine Anweisungen: "Können wir noch etwas Bass auf Scheune geben?"

Das Material, das Young seinem Musikerkollegen in dieser bizarren Listening-Session präsentierte, sollte ihn kurz darauf, mit seinem Millionenseller-Album "Harvest", zum Singer-Songwriter-Superstar der frühen Siebziger machen. Stellvertretend für eine von den vielfältigen Aufbrüchen der Sechziger erschöpfte Post-Woodstock-Generation vollzog Young mit "Harvest" den Paradigmenwechsel vom urbanen, auf Bilder von Sex und Jugendlichkeit ausgerichteten Rock n Roll hin zur Introspektion und den Rückzug in die ländliche Idylle. Nach all den Antikriegsdemonstrationen, Sit-ins und Drogenexperimenten war es schick geworden, mit gerade mal 26 Jahren so zu wirken, als habe man das Leben hinter sich.

Fast genau 35 Jahre nach dem Erscheinen dieses ebenso epochalen wie umstrittenen Albums - in dem Young sehr bald eine Imagefalle erkannte, gegen die er sich jahrelang mit einer hochgradig erratischen Veröffentlichungspolitik zur Wehr setzte - kann man sich nun davon überzeugen, dass diese Platte beinahe nie das Licht der Welt erblickt hätte. Wäre es nämlich nach dem Willen von David Briggs gegangen, seinem begnadetem Hausproduzenten, wäre an ihrer Stelle der Mitschnitt eines Konzerts erschienen, das am 19. Januar 1971 in der Massey Hall in Toronto aufgenommen worden war. Der triumphale Auftritt bildete den Höhepunkt einer langen Tour durch Nordamerika. Da er nach einem Bandscheibenvorfall nicht in der Lage war, eine elektrische Gitarre zu halten, spielte Young seine Songs allein im Sitzen, gehalten von einem Stützkorsett, zu Klavierbegleitung und zur akustischen Gitarre.

Briggs war tödlich beleidigt, weil Young es nicht für notwendig befand, sich die unter hohem technischen Aufwand entstandene Aufnahme auch nur anzuhören, und es vorzog, sich an die Produktion eines neuen Studioalbums zu machen. Erst Jahrzehnte später, sagt Young heute, habe er sehen können, was der inzwischen an Krebs verstorbene Freund damals gemeint hatte - und veröffentlicht nun den Mitschnitt als dritten Teil seiner "Performance Series". Diese Edition markiert den Beginn einer lang erwarteten Werkschau, mit der Young ein riesiges Archiv unveröffentlichter Aufnahmen zugänglich machen möchte.

Tatsächlich ist "Live At Massey Hall" (Reprise/ Warner), das bislang nur als Bootleg kursierte, eine kleine Sensation. In dokumentarischer Hinsicht bügelt diese Veröffentlichung, genauso wie der ebenfalls in der Reihe erschienene Mitschnitt "Live At Fillmore East" von 1970 den perversen Zug in seiner Diskografie aus, dass Young raue Mengen von Liveaufnahmen aus schwächeren Werkphasen in Umlauf gebracht hat, aber seine klassische Phase der Jahre 1969 bis 1979 in dieser Hinsicht fast unberücksichtigt geblieben ist.

Was diese Platte aber wirklich zu einem Ereignis macht, ist der Umstand, dass die meisten Songs, die Young hier in knisternd erwartungsvoller Atmosphäre zu atemberaubend virtuoser Gitarrenbegleitung und in schwindelerregend hohen Stimmlagen vorträgt, dem Publikum - und eigentlich ihm auch selbst - noch unbekannt sind. "Old Man", "Journey Through The Past", "Love In Mind", "See The Sky About To Rain", all diese Stücke, die teils erst Jahre später verstreut auf Studioalben auftauchten, waren offenbar innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne entstanden. Man kann förmlich spüren, wie ein großes Talent, gerade im Begriff, den Zenit seiner Karriere zu erreichen, fast geschockt von der eigenen Kreativitätsexplosion, sich seinem Material mit einer Mischung aus Konzentration und Schüchternheit nähert und eine Artikulation zu entwickeln beginnt, die sich ihre Kommodifizierung noch nicht vorstellen kann und erst in einem Album wie "Harvest" die Signatur des Ideologischen annehmen sollte.

Den überraschendsten Moment erreicht diese Aufnahme mit zwei wohltuend zurückhaltenden Versionen von "Theres A World" und "A Man Needs A Maid". Zwei Titel, die bisher in hoffnungslos überproduzierten Fassungen mit dem London Symphony Orchestra erhältlich waren. Insbesondere der letztgenannte Song hat Young den Vorwurf eingebracht, Anhänger einer Genderethik zu sein, die Frauen an den Herd verbannen will. Um so entwaffnender ist es, hier zu hören, wie Young im Refrain den Songtitel gegen ein verzweifeltes "A Man Feels Afraid" austauscht. Diese Wendung vom früheren "A Man Feels Afraid" zum später dann gebräuchlichen "A Man Needs A Maid" - sie folgt in umgekehrter Richtung der Logik eines Freudschen Versprechers - könnte zu einer ebenfalls gut freudianischen Klärung der Frage beitragen, warum Young, obwohl seinerzeit glücklich mit der Schauspielerin Carrie Snodgress liiert, damals so unglaublich traurig geklungen hat: Wer so intensiv um sich selbst kreist, erlebt die im Zustand der Verliebtheit sich vollziehende Verschiebung der Ich-Libido auf die Objekt-Libido als narzisstische Kränkung: "A Man Feels Afraid". Aber wer darüber bereits in der dritten Person singen kann, dem ist, wie ein kluger Freund neulich bemerkte, schon halb geholfen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.