Essen in der Kita: Ran an die Möhre!

Wenn es nach Familienministerin von der Leyen geht, soll bald jedes dritte Kind eine Tagesbetreuung erhalten. Zeit, über Geschmacksschulung im Kindergarten zu reden

Mjam,Schmatz,Kita-Essen! Bild: DPA

Ran an die Möhre!
Wenn es nach Familienministerin von der Leyen geht, soll bald jedes dritte Kind eine Tagesbetreuung erhalten. Zeit, über Geschmacksschulung im Kindergarten zu reden

Köln, November 2006, im Konferenzsaal des Maritim-Hotels: Etwa 250 Menschen, hauptsächlich Erzieherinnen, einige Erzieher und wenige Köchinnen und Köche - darunter ich - bilden sich zum Thema "Ernährung in Kindertagesstätten" fort. Eine Referentin wird beinahe ohnmächtig vor Entzücken, als Anwesende in der Lage sind, die per "Power Point" präsentierten Abbildungen von Nahrungsmitteln aus der Vollwertküche zu identifizieren. "Oh, hat da jemand Buchweizen gesagt? Das hat bisher noch niemand erkannt!" Ein Kindergartenkoch berichtet stolz der lauschenden Menge, dass es ihm gelungen sei, Kindern eine "rein vegetarische Gemüsesuppe" schmackhaft zu machen. Welch Wunderwerk!

Die "Fit-Kid"-Initiative des Bundesgesundheitsministeriums und der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, die diese Fortbildung veranstalten, ist dennoch lobenswert. Immerhin scheint sie in einigen wenigen Kitas die Belegschaft zu motivieren, frisch gekochtes Mittagessen dem Standard vorzuziehen - nämlich angelieferten Mahlzeiten zum Aufwärmen.

In den meisten Kitas gibt es weder einen Koch noch eine professionell ausgestattete Küche, sondern lediglich einen großen Umluftofen. Mittags werden hier lauwarm angelieferte Speisen erhitzt, die seit dem frühen Morgen in Warmhaltecontainern vor sich hin garten. Allenfalls ist eine Küchenhilfe vor Ort, die an einigen Tagen der Woche etwas Rohkost oder einen Salat zubereitet.

Die Diskussion über Kinderernährung ist seit einigen Jahren im Gange: über Fettleibigkeit, die Nahrungsmittelindustrie, das große Angebot an denaturierten Speisen und die zu erwartende Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Das ist gut, denn zum Wohl der heranwachsenden Generationen muss man überlegen, warum die Institutionen ihren bei Kleinkindern noch gottähnlich großen Einfluss nicht nutzen und Vollwert- und Bio-Kost auf den Tisch bringen. Wer dann nörgelt, hat Pech gehabt und wird umlernen müssen. Bei Kleinkindern ist das ein Prozess, der selbst in den hartnäckigsten Fällen - Essens-Psychosen einmal ausgeschlossen - nicht länger als ein paar Tage dauert. In zehn Jahren als Kindergartenköchin habe ich immer wieder Kinder erlebt, die in ihrer Eingewöhnungszeit ihre Unsicherheit und ihren Unmut durch Nahrungsverweigerung deutlich machten. Mit Hilfe verständnisvoller Erzieherinnen gibt sich das immer schnell, und die Kinder finden Spaß am gemeinsamen Essen. Da spielt es dann keine Rolle mehr, dass es anders als zu Hause schmeckt.

Wie alle anderen, kommen auch diese Kinder bald täglich zu mir in die Küche, um zu schnuppern und zu raten, was ich koche. Sie lassen sich von mir hochheben, um in die Töpfe zu gucken. Und sie bringen oft und gern ihre Freude zum Ausdruck über das Essen, was sie erwartet; sie rennen auf den Flur und rufen den anderen Kindern zu, "was es heute gibt". Das prägt Kinder, und die positive Erinnerung daran ist nachhaltig.

Besonders in den jetzt entstehenden Ganztagsschulen und Ganztags-Kindertagesstätten muss man sich deshalb dringend Gedanken über die Verpflegung machen. Was spricht dagegen, hier anständige Küchen einzubauen und Köche auszubilden, damit sie Kindern das vorsetzen, was sie brauchen, um gesund und kräftig heranzuwachsen?

Eine duftende Küche in jedem Kindergarten, die die Kinder anzieht und fasziniert, ab und zu eine kleine Aktion, bei der die Kinder in der Küche selbst oder mitkochen können - Gurken schnippeln, Kartoffeln schälen, Kürbisse entkernen und als Krönung sogar die große Küchenmaschine bedienen dürfen -, all das wäre ein Garant dafür, dass die Kleinen mehr kennen lernten als Pizza, Pommes und Fischstäbchen. Die Inbrunst, mit der Vierjährige stolz ihre erste selbst gemachte Suppe löffeln, ist groß. Und viele Kinder fragen bei mir nach, wann sie denn endlich wieder mitkochen können.

Außerdem gibt es ökonomische Aspekte, die nicht wegzudiskutieren sind. Eine erweiterte Tagesbetreuung von Kleinkindern bedeutet einen Zuwachs an "Kunden" bei der Mittagsverpflegung. Selbst wenn man inzwischen auch auf Tagesmütter setzen will, die ja nicht die schlechtesten Köchinnen sein müssen, wird fachkundiges Personal in den Einrichtungen gebraucht. Gerechnet nach den Normen der "Fit-Kid"-Planer, wären das voraussichtlich bis zu 10.000 Köchinnen beziehungsweise Köche und bis zu 10.000 Küchenhilfen und Reinigungskräfte.

Andernfalls überließe man dieses Feld der Großküchen-Industrie, deren Interesse bestimmt nicht darin liegt, Dreijährigen den Geschmack von Kohlrabi nahe zu bringen, sondern möglichst viel Profit zu machen. Und dass es viel teurer ist, Kinder wegen Fettleibigkeit zu behandeln, als sie von Anfang an vernünftig zu ernähren, sollte auch einleuchten. Darüber hinaus kostet eine frisch zubereitete Mahlzeit, wie ich an meinem Arbeitsplatz beweisen konnte, nicht mehr als eine gelieferte.

Es gilt, dass Kinder einfach sehr, sehr hungrig sind um die Mittagszeit. Das gibt Gelegenheit, sie auch einmal mit Vollkornreis oder Hirse zu konfrontieren. Denn obwohl sie erst mal skeptisch Neuem gegenüber sind - auch bei mir gibt es Tage, an denen die Schüsseln halb voll zurück in die Küche kommen, weil ich zu exotisch gewürzt habe -, sind Kinder durchaus bereit, neue Geschmackserfahrungen zu machen: Stellt man ihnen eine gesunde, leckere Mahlzeit auf den Tisch, essen sie sie erfahrungsgemäß einfach auf. Eine Viertelstunde später können die Kleineren oft nicht mehr sagen, was sie gerade vertilgt haben - es sei denn, es gab Nachtisch. Trotzdem wird so unbewusst und täglich die "Geschmacksdatenbank" erweitert. Und es mag sein, dass Japanischunterricht im Kindergarten nützlich ist - wie eine Möhre aussieht und wie man sie schält, zählt jedoch genauso zu Grundkenntnissen, auf die Kinder eines Tages zurückgreifen können und die ihnen zudem helfen, mündige und kundige Konsumenten zu werden.

Die in den meisten Fällen berufstätigen Eltern werden mit Sicherheit keinen Einspruch erheben, wenn man ihren Kindern in Kindergärten und Schulen eine vernünftige Nahrungsgrundlage angedeihen lässt, die unter anderem erlaubt, dass sie am Abend Schnellimbissketten aufsuchen, die eigene Mikrowelle mit Tiefkühlkost bestücken oder, im besten Falle, einfach ein Butterbrot servieren.

Viele Eltern wären sicherlich dankbar, sich keine Gedanken mehr über Nährwerttabellen, Vitamine und die "Täglichen fünf" machen zu müssen. Die Mütter und Väter meiner jungen Topfgucker haben sich jedenfalls auch deshalb für unsere Einrichtung entschieden, weil es frisch gekochtes Essen gibt.

Drei Jahre, inzwischen häufig auch bis zu fünf Jahre, verbringt der Nachwuchs heute in der Kindertagesstätte. Das ist eine lange Zeit - zu lang, um seine Kinder täglich mit aufgewärmtem Lieferfutter versorgt zu wissen. Sie ist eine Chance, die Kinder geschmacklich zu schulen und ihnen die Vielfalt von Nahrungsmitteln nahe zu bringen.

STEFANIE LÄSSIG

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