Erst korrumpieren, dann expandieren

Als Britta Bannenberg vor zehn Jahren begann über Korruption zu forschen, gab es nur wenige Studien zu diesem Thema. Mittlerweile ist Sizilien näher als man denkt und Korruption hat sich zu einer Wachstumsbranche entwickelt: Die Bielefelder Rechtsprofessorin findet immer mehr Fälle

Korruption ist effektiv, attraktiv und lukrativ. Das haben auch deutsche Entscheidungsträger erkannt. Nicht nur in Moskau oder Sizilien, längst würden auch hierzulande Verbandsfunktionäre und Bauunternehmer Beamte und Politiker bestechen, sagt die Bielefelder Kriminologie-Professorin Britta Bannenberg.

Schmiergeldzahlungen seien in vielen Branchen bereits Teil der Geschäftspolitik und fügten dem Fiskus jährlich Schäden in Milliardenhöhe zu. Bannenberg, Kriminologin an der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Bielefeld, hält Korruption darüber hinaus für eine Wachstumsbranche: „Schmieren und Sich-Schmieren-Lassen ist in Wirtschaft, Politik und Verwaltung so normal wie die tägliche Fahrt mit dem Auto.“

Die Öffentlichkeit sieht nach Meinung der Wissenschaftlerin allenfalls die Spitze des Eisbergs: „Korruption ist ein flächendeckendes Kriminalitäts-Phänomen. Aber höchstens fünf Prozent aller Fälle werden entdeckt und noch weniger führen zu einem Gerichtsurteil, da Täter und Opfer in einem Boot sitzen.“ In der Kriminalstatistik der Polizei oder in den Lagebildern des Bundeskriminalamtes sorge das enorm hohe Dunkelfeld für ein völlig falsches Bild. „Bei neun von zehn Unternehmen werden Sie fündig, in mehr oder weniger großem Umfang“, schätzt Bannenberg. Korruption in Deutschland sei vor allem ein Problem der Wirtschaftskriminalität. Gekauft würden auf Dauer angelegte Beziehungen, insbesondere um staatliche Kontrollen und die Konkurrenz zum eigenen Nutzen auszuschalten.

In Prozessen können Bannenbergs Studenten beobachten, dass die angeklagten Firmenchefs häufig keinerlei Unrechtsbewusstsein haben. „Trotz Abrechnungsbetrugs, Untreue, Erpressung und Steuerhinterziehung sehen sie sich nicht als kriminell und verfügen über eine ausgeprägte Rechtfertigungs- und Neutralisierungstechnik“, so Bannenberg. Als die Kriminologin sich 1995 zum ersten Mal mit Korruption befasste, gab es so gut wie keine wissenschaftlichen Untersuchungen zu dem Thema.

Erst in den vergangenen Jahren wird in Ministerien und Verwaltungen das Problem beim Namen genannt. Bundesländer wie Niedersachsen haben anonyme E-Mail-Briefkästen eingerichtet und verfolgen jeden Hinweis. Dennoch konstatiert die Professorin nüchtern: „Korruptionsbekämpfung geschieht nach wie vor sehr halbherzig, man überlässt den überlasteten Strafverfolgungsbehörden die Aufdeckung.“ Und die Medien berichteten vor allem dann, wenn sich so genannte Skandale personalisieren ließen.

Bannenberg ist überzeugt: „Der Kampf gegen die Korruption wird nicht durch die Justiz, nicht durch härtere Gesetze oder noch so wasserdichte Kontrollen gewonnen, sondern in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger entschieden.“ In einem korruptionsfeindlichen Klima könne und werde das Schmiergeldunwesen nicht gedeihen. Die Stärke einer Demokratie hänge wesentlich davon ab, inwieweit undemokratische, weil nicht transparente Amigo-Beziehungen und Seilschaften, Ämterpatronage und andere Formen der Klientelwirtschaft geduldet werden. Gemeinsam mit dem Frankfurter Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner hat Bannenberg im vergangenen Jahr im Beck-Verlag das Buch „Korruption in Deutschland“ veröffentlicht, das Strategien im Kampf gegen die Korruption vorschlägt. Um Fiskus und Wettbewerb zu schützen, müssten korrumpierende Unternehmen vom Wettbewerb ausgeschlossen und in einem Korruptionsregister erfasst werden. Die Einführung eines Unternehmensstrafrechts verspricht nach Meinung der Autoren Abschreckung. Wettbewerbsklauseln könnten lukrative Wechsel vom Amt gerade in solche Unternehmen der Privatwirtschaft erschweren, die während der dienstlichen Tätigkeit auffällig protegiert wurden.

Nennenswerte Forschungsgelder für ihr Thema konnte die Bielefelder Professorin bisher nicht akquirieren. Und Verbände und Institutionen, die so gerne über Schwarzarbeit und Steuerverschwendung lamentieren, haben offenbar kein Bedürfnis, in ihren eigenen Reihen über das Tabuthema zu diskutieren. Immer wieder ist es der Expertin passiert, dass ihr Vortrag kurzfristig aus dem Programm gekippt wurde. HOLGER ELFES