Jugend: Nur bedingt autonom

"Radikale Jugend" oder bloß perspektivlose "Generation Praktikum" - was war die Motivation der Globalisierungsgegner in Heiligendamm?

Aktivisten auf der Heimfahrt. Warum waren sie gekommen? Bild: dpa

Matthias Witte von der Universität Bielefeld war bei der Auftaktkundgebung zu den G-8-Protesten vor Ort, um die Motive der jungen Demonstrantengeneration zu erforschen. 3.576 Fragebögen wurden an junge Menschen unter 25 Jahren verteilt. Eine erste Auswertung dieser Ergebnisse liegt jetzt vor.

"Radikale Jugend" titelte der Spiegel prompt am Montag und las die Ergebnisse der Studie als Zeichen einer neuen umfassenden Akzeptanz von illegalen Protestformen. "10 Prozent gaben an, sie seien gewaltbereit, da von einer radikalen Jugend zu sprechen, das lassen unsere Daten nicht zu", erklärt Witte.

Auch Professor Uwe Sander, Leiter der Studie, fand die Lesart ihrer Ergebnisse "nicht glücklich". Einen Tag später wurden unter dem Titel "Studie enthüllt brisantes Profil der G-8-Kritiker" auf Spiegel-Online Herkunft und Gewaltbereitschaft der jugendlichen Demonstranten etwas genauer thematisiert.

Interessant ist neben der "Motivstruktur jugendlicher Globalisierungsgegner", so der Titel der Erhebung, tatsächlich die Frage, wer hier denn eigentlich demonstriert. Ein Gros der jugendlichen Demonstranten entstammt der bürgerlichen Mittelschicht, 52 Prozent sind Akademikerkinder, 70 Prozent der Befragten selbst gehen noch zur Schule oder besuchen die Universität. 89 Prozent der Teilnehmer haben die Frage "Ich bin hier, weil ich gegen Perspektivlosigkeit vorgehen will?" bejaht. Daraus abzuleiten, dass die meisten der jugendlichen Demonstranten die Angst vor dem persönlichen sozialen Abstieg treibt, hält Witte für zu verkürzt: "Es war keinesfalls so, dass die da als verängstigte Hasen längs gelaufen sind, die nur für ihre eigene Biografie mitgelaufen sind". Vielmehr beinhaltete die Studie mehrere miteinander korrelierende Fragen, aus denen sich ablesen lässt, dass die persönliche Perspektivlosigkeit in den Biografien der Jugendlichen immer mitschwingt.

Dass 98 Prozent der Jugendlichen der Aussage zustimmen, Unterdrückung und Armut seien Motive für ihren Protest, zeigt, dass die junge Generation weiter als bis zum eigenen Wunsch nach einem gesicherten Arbeitsplatz und nicht nur an den persönlichen Wohlstand denkt.

Auch Arvid Bell, 22, Mitglied im Koordinierungskreis von Attac, ist der Ansicht, dass die jungen Demonstranten zweierlei zum Protest treibt: Man habe studiert und sei aus gutem Elternhause, werde dann Teil dieser "Generation Praktikum". Aber bei den Protesten zum G-8-Gipfel sei das nur ein Aspekt gewesen, auch von den jungen Leuten wurde dort ganz klar thematisiert, dass man für internationale Gerechtigkeit und Solidarität demonstriert.

Die Botschaft sei klar "die Kritik am unsolidarischen Weltwirtschaftssystem, das sich hier dann niederschlägt in sozialer Unsicherheit und einer prekarisierten PraktikantInnenszene". Wer sie nun wirklich ist, diese neue "Demonstrantengeneration", darüber lässt sich anhand der bislang ausgewerteten Daten keine Aussage treffen.

Uwe Sander zufolge waren bei den Demonstrationen in Heiligendamm zwar Tausende von Jugendlichen engagiert, von einer einheitlichen Bewegung wie in den 80ern sei aber nicht mehr zu sprechen: "Das Blockdenken ist schon lange weg."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.