die wahrheit: Auch ich war ein Gullydeckeldieb

Hoch schlagen derzeit die Wellen der Empörung über dem gemeinen Gullydeckeldieb zusammen. Kein Tag vergeht, an dem nicht einer schockierten Öffentlichkeit...

Hoch schlagen derzeit die Wellen der Empörung über dem gemeinen Gullydeckeldieb zusammen. Kein Tag vergeht, an dem nicht einer schockierten Öffentlichkeit neue Gräueltaten ausgemalt werden: Hier sei ein, dort seien gleich zehn, da sogar siebzehn Gullydeckel entwendet worden. Schon versammeln sich des nächtens Bürger, um die Gullydeckel ihrer von Gullydeckeldiebstahl bedrohten Straßen vor Gullydeckeldieben zu schützen, die allein um des schnöden Mammons willen Hals- und Beinbruch ahnungsloser Passanten riskieren.

Sechs Euro ist ein Gullydeckel momentan den Übelmännern unter den Schrotthändlern wert. Sechs Euro, die den Gullydeckeldieb jedoch teuer zu stehen kommen könnten, sollte er in die Hände der Gullydeckelschützer geraten, die kurzen Prozess machen, wenn sie seiner habhaft werden. Schon hört man manche Gullydeckelhüter nach drakonischen Strafen und sogar nach dem Schäuble rufen, für den Gullydeckeldiebe sicher nichts anderes sind als Terroristen, die vom Unterweltkönig Ussama bin Laden höchstpersönlich gesteuert werden, um unsere Zivilisation zu unterminieren.

Doch halt!, möchte man ihnen zurufen. Haltet ein, ihr groben Gullydeckeldiebvorverurteiler! Ihr, die ihr Gullydeckeldiebe in Bausch und Bogen verdammt. Denn Gullydeckeldieb ist nicht gleich Gullydeckeldieb. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich war selbst einmal ein Gullydeckeldieb.

Schuld ist Blixa Bargeld. Oder zumindest trägt er eine Mitschuld. Der sehr junge Neubauten-Sänger kellnerte seinerzeit in einem Berliner Lokal namens "Risiko", das auf der Grenze zwischen Kreuzberg und Schöneberg lag. Hinter der Theke postiert, reichte er den Gästen die obligatorischen grünen Bierflaschen an, die er allerdings nicht wieder entgegennahm. Hatte einer seine Flasche leer getrunken, ging er in den Hinterraum und pfefferte sie im hohen Bogen in eine große, weiße Badewanne, die schon gut gefüllt war mit grünen Scherben. Ein Anblick, der dem späteren Flaschenpfandfürsten Jürgen Trittin gewiss die Tränen in die Augen getrieben hätte.

Eine Abends aber war Ebbe, Ende, ex & hopp. Das Bier war ausgegangen, und Blixa Bargeld schloss das "Risiko" frühzeitig, also ausnahmsweise nicht erst im Morgengrauen. Mit hängenden Köpfen stapften ich und ein anderer Übriggebliebener durch die dunklen Straßen, bis wir an einem Gullydeckel stehen und unsere Blicke dort hängen blieben. Wir sahen uns an, ohne ein Wort zu wechseln, hoben das gusseiserne Gitterwerk ächzend aus seiner Verankerung und trugen es stumm heimwärts die sechs Stockwerke hinauf. Oben angekommen, wachten wir schlagartig auf: "Warum haben wir das eigentlich getan?", fragten wir uns, wie nur junge Männer diese Frage so stellen können angesichts einer völlig sinnlosen Tat. Da sich aber partout keine Antwort ergeben wollte, platzierten wir den Gullydeckel mitten in der Wohnung, wo er wahrscheinlich noch heute steht als Spiegel der Jugend oder als Mahnmal des unbekannten Gullydeckeldiebs. Wir jedenfalls haben ihn nie wieder hinuntergetragen. Dafür war er entschieden zu schwer.

Wer aber ohne Sünde ist, der werfe den ersten Gullydeckel.

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kari

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