Ein Glanz allein ist zu wenig

Wer schmeißt denn da mit Dreck? Die Choreografin Sasha Waltz erhält einen eigenen Etat für ihr Tanztheater, und die Berliner Schaubühne inszeniert sich als Opfer – nicht gerade ein feines Signal für die weitere Zusammenarbeit, die noch geplant war

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Das Publikum in Berlin wenigstens ist kein Verlierer. Es wird Sasha Waltz & Guests ganz sicher weiterhin durch die Stadt folgen, so wie es das in den letzten zehn Jahren getan hat. Vom Künstlerhaus Bethanien über das Kreuzberger Theater am Halleschen Ufer bis zu den neuen Sophiensälen in Mitte, dann an die Schaubühne für fünf Jahre, in den Palast der Republik für einige Tage und schließlich, in der letzten Spielzeit, an die Staatsoper Unter den Linden. Für eine Karte von „Dido & Aeneas“, der ersten Operninszenierung der Choreografin, zahlt man dort gut und gerne das zehnfache wie für die Aufführungen vor zehn Jahren – denn auch die Produktionen sind aufwändiger und teurer geworden.

Jetzt wird zum ersten Mal im Berliner Kulturhaushalt ein eigener Haushaltstitel für die Compagnie aufgestellt, die eine künstlerische Unabhängigkeit und wirtschaftliche Selbstständigkeit dem Verbleiben in der Schaubühne vorzieht. Sieht das nicht nach einer schönen Geschichte von Weiterentwicklung und nach der Lust auf neue Produktionsformen und neue Partner aus? Glückwunsch für die Berliner Parlamentarier und ihre Entscheidung, dem gewachsenen Interesse für den zeitgenössischen Tanz Rechnung zu tragen? Das könnte man blauäugig und aus großer Ferne meinen. Aus der Nähe aber wird die leiseste Spur davon, sich über eine kulturpolitisch richtige Entscheidung freuen zu können, von lautem Lärm niedergemacht. Da sehen sich plötzlich unheimlich viele als Verlierer.

Allen voran die Berliner Schaubühne, deren geschäftsführender Direktor, Jürgen Schitthelm, und regieführender Intendant, Thomas Ostermeier, ziemlich plötzlich und vor einem großen Publikum im Unterausschuss Theater des Berliner Abgeordnetenhauses gegen den politischen Beschluss zu polemisieren anfingen. Sie stellen die 600.000 Euro, die das Tanztheater vom Land erhalten soll, als Raub aus ihrem Hause dar. Die Summe setzt sich zusammen aus 383.500 Euro Fördermitteln, die Sasha Waltz schon vor ihrem Weg an die Schaubühne bekam und dorthin mitnehmen konnte, und aus 216.500 Euro für 20 Produktionen, die sie nach einem neu auszuhandelnden Vertrag weiter an der Schaubühne zeigen will und sollte. Das ist karg berechnet, wenn man überlegt, dass in der Zeit der Zusammenarbeit ungefähr ein Drittel der Produktionsmittel (1,2 Millionen Euro 2005) nach dem Willen des fördernden Landes dem Tanz am Haus zugute kommen sollten und auch kamen.

Für die Schaubühne, deren Etat um eben jene 600.000 Euro auf 11,7 Millionen abgesenkt wird, scheint es jetzt keine Rolle mehr zu spielen, dass Waltz und Ostermeier zusammen als Magnetfeld funktionierten, dem Haus ein neues und jüngeres Publikum zu gewinnen. Sie sehen jetzt nur noch ihre so genannte strukturelle Unterfinanzierung, ein Problem, das das Haus schon seit Jahren hat, dramatisch vergrößert. Es ließ sich mit Sasha Waltz, selbst wenn die Zusammenarbeit nicht gut funktionierte, besser lösen, als ohne sie. Ihr aber den schwarzen Peter für die bedrohliche Situation der Schaubühne zuzuschieben, ist Unsinn.

Das Motiv für das harsche Agieren der Schaubühne ist nicht nur ihre finanzielle Knappheit – man hat sich schon für 4,2 Prozent Lohnverzicht und billigere Produktionsweisen in der Studio-Reihe entschieden. Aber neben der Geldnot bedrückt den Intendanten auch ein Imageproblem in Berlin, seitdem die einzelnen Bühnen immer programmatischer miteinander konkurrieren. Würde er nur als Künstler für seine Inszenierungen angesehen, die Bilanz von Erfolgen und internationaler Anerkennung sähe gut aus. Im Dezember stehen seine Inszenierungen 15-mal auf dem Spielplan, zwei Stücke von Ibsen und zwei von Sarah Kane, die zu seiner besten Arbeiten gehören. Aber nicht gelungen ist es ihm, neben sich andere Regisseure ähnlich erfolgreich zu etablieren. Und auch von den versprochenen Schwerpunkten von zeitgenössischem und politisch relevantem Theater muss man eher sagen: Man arbeitet zwar sichtlich dran, aber kommt nicht weit. Ostermeier als Glanzlicht allein ist nicht genug.

Auch Sasha Waltz, deren neuestes Stück „Gezeiten“ am 19. November an der Schaubühne Premiere haben wird, und Jochen Sandig, ihr Produktionsmanager und Lebensgefährte, sind nicht da, wo sie hinwollten. Für die Etablierung ihre Compagnie können sie für 2006 und 2007 zwar auf 875.00 Euro aus dem Hauptstadtkulturfonds hoffen, eine Aussicht, die ihnen die Unabhängigkeit überhaupt erst möglich macht. Sie haben sich von der Schaubühne auch getrennt, weil es ihnen ohne den Apparat des Hauses leichter scheint, Geld effektiv einzusetzen und Drittmittel einzuwerben. Inzwischen umfasst die Compagnie 16 Tänzer und 16 Mitarbeiter in Büro, Technik und Produktion – auch ein kleiner Apparat. Dennoch gehen sie davon aus, sich personell wieder verkleinern zu müssen und einige große Produktionen ihres Repertoires wie „noBody“ und „Körper“ nicht halten zu können.

Die Kulturpolitik Berlins hat auch nicht so richtig gewonnen. Die Schaubühne will ihre Entscheidung nicht akzeptieren. Es ist vorauszusehen, dass Lobbyisten des Schauspiels und des Tanzes noch einmal härter gegeneinander antreten werden, um in diesem Szenario noch etwas zu verschieben.