Sierra Leone: Ernüchterung nach dem Bürgerkrieg

In Sierra Leone finden am Wochenende die ersten Wahlen seit Abzug der UN-Blauhelme statt. Die politische Landschaft gerät in Bewegung.

Wahlplakat der Regierungspartei "Sierra Leone Peoples' Party" (SLPP) Bild: reuters

Freetown taz Tausende junge Männer stehen in Sierra Leones Hauptstadt herum: auf Bürgersteigen, vor Geschäften, auf Verkehrsinseln. Manchmal bieten sie gebrauchte oder neue T-Shirts feil, manchmal Schuhe. Meistens aber haben sie offensichtlich nichts zu tun. Sie warten auf Gelegenheitsjobs, vermitteln Geldtauschgeschäfte oder was auch immer sie meinen, ein Passant gerade gebrauchen könnte. Ein paar Straßen weiter drängeln sich weitere junge Leute in den Eingangsräumen eines zweistöckigen Hauses. Es ist das Hauptquartier der politischen Partei "All Peoples Congress" (APC). Anders als auf den Straßen haben sich hier auch Frauen in die Gruppe gemischt.

Die APC ist die größte Oppositionspartei des knapp sechs Millionen Einwohner zählenden Sierra Leone, und vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am kommenden Sonntag macht sie kräftig mobil. "Wir werden alles tun, um diese Wahlen zu gewinnen", sagt APC-Aktivist Mohammed Konteh. "Die Regierung hat total versagt. Die haben nichts unternommen, den Menschen in Sierra Leone zu helfen. Nur Versprechen. Keinen öffentlichen Strom, keine Arbeit, keine Wasserversorgung, keine medizinische Hilfe. Wir haben nicht mal was zu Essen. Es wird alles nur noch schlimmer."

Der 34jährige College-Absolvent findet seit zwei Jahren keine Arbeit. Wie so viele in Sierra Leone. Zwei Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung sind nach UN-Schätzung arbeitslos, in einigen Regionen bis zu 90 Prozent. Über zwei Drittel der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Vor allem unter den jungen Sierraleonern herrscht Perspektivlosigkeit.

Anhänger der APC auf dem Weg zu einer Kundgebung in Freetown Bild: reuters

Der Zorn der APC richtet sich gegen die Regierungspartei "Sierra Leone Peoples' Party" (SLPP), die den Staatspräsidenten Ahmad Tejan Kabbah stellt. Nach elf Jahren an der Staatspitze, davon etliche bürgerkriegsbedingt im Exil, muss Kabbah nun die Macht abgeben. Nach seinem Willen soll ihm der bisherige Vizepräsident Solomon Ekuma Berewa nachfolgen. Eine Veränderung ist das nicht, fürchtet die Opposition: Bereits seit 2002 führt Berewa de facto die Regierungsgeschäfte.

Zwar wuchs Sierra Leones Wirtschaft letztes Jahr um sieben Prozent. Aber bis zu drei davon fallen auf Entwicklungshilfe, nicht auf eigene Kraft. Auch wenn sich die Wirtschaft langsam vom Kahlschlag des Bürgerkrieges erholt, der Sierra Leone in den 90er Jahren verwüstete und das Land weltweit wegen den Brutalitäten der Rebellenbewegung RUF (Vereinigte Revolutionäre Front) bekanntmachte, schlägt sich dies noch lange nicht in einer besseren Versorgung der Menschen nieder. Zumindest hat Präsident Kabbah erreicht, dass dem Land 90 Prozent seiner Auslandsschulden erlassen wurde. Doch Direktinvestitionen aus dem Ausland kommen nur schleppend. Nach wie vor gilt Sierra Leone als eines der ärmsten Länder der Welt, obschon das Land reich an Diamanten, Gold und anderen Bodenschätzen ist.

Die Verantwortung dafür weisen die Anhänger der regierenden SLPP auf die APC zu. Diese habe mit ihrer 25-jährigen, zumeist autoritären Einparteienherrschaft nach der Unabhängigkeit 1961 erst die Ursachen für den verheerenden Bürgerkrieg der 90er Jahre geschaffen. Der Bürgerkrieg, der 2002 zu Ende ging, hatte mit Bildern von Zivilsten, denen Glieder durch Macheten abgeschlagen wurden, weltweit Schlagzeilen gemacht. Erst wiederholte Militärinterventionen von Nigeria und Großbritannien und dann eine UNO-Blauhelmmission konnten Frieden bringen.

Die ausländischen Truppen sind nun fort, die Sicherheit des Landes liegt heute allein in der Verantwortung der einheimischen Sicherheitskräfte. Befürchtete größere Gewaltausbrüche in der Wahlkampfzeit blieben bislang aus. Nur zu einigen kleineren Zusammenstößen zwischen Anhängern der verschiedenen Parteien kam es. Bislang behauptete sich jedesmal die Polizei.

Größere Sorgen dagegen bereiten Aussprüche und taktische Allianzen führender Politiker. Während die politische Nachfolgeorganisation der RUF-Rebellen, die in Bürgerkriegszeiten die Diamantenfelder kontrollierten, bei den letzten Wahlen vor fünf Jahren nicht einen Sitz gewinnen konnte, regen sich diesmal wieder Lebenszeichen der ehemaligen Kämpfer. Internationale Beobachter warnen vor allem vor Charles Margai, Präsidentschaftskandidat der "People's Movement for Democratic Change" (PMDC), der gesagt hat: "Wir haben, was nötig ist, um unsere Interessen zu schützen".

Die renommierte "International Crisis Group" (ICG) sieht darin eine Anspielung an den vermeintlichen Zulauf von ehemaligen Kämpfern der RUF-Rebellen sowie der während des Bürgerkriegs gegen die Rebellen kämpfende Kabbah-treuen Bürgermiliz Kamajor. Charles Margai war einst SLPP-Minister. Er wollte Präsidentschaftskandidat werden; als er scheiterte, gründete er seine eigene Partei. Auch APC-Präsidentschaftskandidat Ernest Koromah brüstet sich mit Unterstützung der Anhänger der RUF-Partei.

Durch das Ausscheiden von Kabbah kommt es in jedem Fall zu einem Führungswechsel in Sierra Leone. Aber egal welche Partei siegen wird, sagt ein einheimischer Unternehmer, umwerfend sei keiner dieser Präsidentschaftskandidaten und keiner lasse auf einen Ruck hoffen.

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