Gegen Diskriminierung: Ein Gesetz als Denkanstoß

Seit einem Jahr ist das Gleichbehandlungsgesetz in Kraft. Es hat zwar nicht alle Benachteiligungen aus der Berufswelt beseitigt, zeigt aber, dass Vorurteile abgebaut werden können.

Die befürchtete Klagewelle ist ausgeblieben. Bild: dpa

Es geht um Fragen, die eigentlich längst geklärt sein sollten in unserer modernen Zeit. Darf ein Chef verlangen, dass in seiner Firma nur Weiße an den Computern tippen? Muss die Fachkraft, die in seinem Vorzimmer sitzt, eine Frau sein? Darf er einen Behinderten von vornherein als Bewerber ausschließen? Nein, nein, und nochmals nein, wollte der Gesetzgeber betonen - und setzte vor einem Jahr das "Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz" (AGG) in Kraft.

Hinter der sperrigen Vokabel verbirgt sich ein durchaus alltagsnahes Regelwerk. Niemand darf im Geschäfts- und Arbeitsleben wegen seines Alters, seiner Religion, seiner ethnischen Herkunft, seines Geschlechts oder der sexuellen Identität oder wegen einer Behinderung benachteiligt werden, so der Grundsatz.

Erregt stritten Politik wie Öffentlichkeit über dieses Gesetz. Die einen fürchteten, mit den neuen Vorgaben werde nur ein Haufen Papier geschaffen, der an tatsächlichen Benachteiligungen im Arbeitsleben wenig ändert. Die anderen mahnten, dass ein Bürokratie-Wust die Personalabteilungen lahmlegt. Und sie sorgten sich, dass ein Heer klagefreudiger Arbeitnehmer die Gerichte im Dauerstress hält.

Wirklich bewahrheitet haben sich die Sorgen nicht. "Das Horrorszenario einer Klagewelle ist ausgeblieben", verkündete am Donnerstag Martina Köppen, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes - ein Urteil, das auch Juristen bestätigen.

So richtig überraschend ist die Erkenntnis nicht. Allzu plumpe Benachteiligungen im Sinne von "nur deutsche Reinigungskräfte erwünscht" waren schon vorher höchst selten. Und dass massenhaft Menschen gegeneinander klagen, die sich täglich in Büro sehen, war nicht anzunehmen. "Die meisten, die sich an uns wenden, wollen keine Klage, sondern eine gütliche Einigung", sagt auch Köppen, die eine erste Auswertung der Anfragen an ihre Beratungsstelle vorstellte.

Viele dürfte schon der hohe Aufwand schrecken. Der 17-Jährige, der sich ärgert, weil das Fitnessstudio um die Ecke nur Volljährige aufnimmt, wird wohl kaum gleich eine Klage einreichen. Der arabischstämmige Jugendliche, der trotz guter Schulnoten keine Lehrstelle findet, ahnt vielleicht, dass dies an seiner Herkunft liegen könnte. Dass er deshalb gleich einen möglichen Arbeitgeber verklagt, ist unwahrscheinlich. Ähnliches gilt für die top ausgebildete Frau, die sich zu Unrecht bei der Beförderung übergangen fühlt. Sie fürchtet vielleicht, in ihrer Branche nie mehr ein neues Jobangebot zu erhalten, wenn sie als "Querulantin" gilt, die gegen den eigenen Chef vor Gericht zieht.

Das heißt aber nicht, dass ein solcher Gesetzestext in der Praxis nicht sinnvoll wäre. Natürlich lassen sich nur durch ein Gesetz nicht mal eben rasch Denkweisen ändern, die sich über Jahrzehnte eingeprägt haben. Dennoch ist es hilfreich, dass die neuen Regeln einen Denkanstoß geben. So unterstützen sie zum Beispiel eine gesellschaftliche Debatte, die ohnehin zunehmend den Jugendwahn in der Arbeitswelt kritisiert. Dass eine Stelle altersneutral ausgeschrieben ist, heißt noch lange nicht, dass der ältere Jobsuchende sie auch bekommt. Es bedeutet aber, dass die Personalchefs, die ihn nicht einstellen, dies notfalls sachlich begründen müssen. Nur schwer gesetzlich lenken lassen sich auch die subtilen Mechanismen, nach denen eine Mittdreißigerin, die vielleicht bald ein Kind bekommt, für einen Führungsposten erst gar nicht mehr in Erwägung gezogen wird. Wenn solche Mechanismen zumindest reflektiert werden, ist viel gewonnen.

Neupositionierung

Daher haben die Skeptiker unrecht, die argwöhnten, das neue Gesetz habe in der Praxis wenig Relevanz. Das Regelwerk liefert - das legt auch eine Pilotstudie des Bundes nahe - jenen eine Argumentationhilfe, die sich benachteiligt fühlen und dies gegenüber dem Chef thematisieren wollen. Es zwingt auch zur Neupositionierung in strittigen Fragen. Mittlerweile gibt es erste richtungsweisende Urteile nach dem AGG. So konnte ein Betriebsrat das Recht auf gleiche Bezahlung für Frauen in der Firma einklagen. Auch eine Lehrerin berief sich erfolgreich aufs AGG, als sie - gleich ihren männlichen Kollegen - einen beamtenähnlichen Vertrag an ihrer Sonderschule einforderte.

Die Beispiele verdeutlichen, dass sich das Gesetz, bei allem bürokratischen Aufwand, eben doch bewährt hat. Eine Polit-Maßnahme kann zwar nicht alle Benachteiligungen aus der Arbeitswelt verschwinden lassen. Aber es kann Firmenchefs wie Arbeitnehmer zwingen, festgefahrene Gewohnheiten und Vorurteile zu überdenken.

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