Kolumne: Vertraut Fernsehen in der Fremde

Meine Tochter ist jetzt in Kairo. Am liebsten wäre es mir, sie würde stets daheim bleiben und Vox einschalten.

Eine Nachricht von Jamal auf dem Anrufbeantworter. Ich solle ihn doch bitte in Nairobi anrufen, weil er Noras Nummer in Kairo nicht habe, ihr aber gerne Mostis Nummer dort geben wolle, der sei noch bis Donnerstag da. Kein Problem. Nora ist ohnehin gerade online, weil sie sich mit Jan im Chat darüber unterhält, dass die Wohnungen in Dublin teurer sind als erwartet.

Mit Leonie zu kommunizieren ist mühsamer. Die meldet sich aus Thailand nur alle paar Tage mit einer Rundmail. In der bringt sie dann auch wichtige Fragen an die einzelnen Adressaten unter: Ob es möglich sei, sich mit Johanna am 1. September am Hauptbahnhof in Bangkok zu treffen? Wie es eigentlich Eva und Jana bei ihrer Arbeit im Pub in Australien gehe?

Die Welt ist ein Dorf? Die Welt ist ein Laptop. Globalisierung macht die Menschen unsicher und heimatlos? Ja. Schon. Aber sie kann auch Heimat schaffen. Und Nähe. Und Sicherheit.

Alle Eltern denken, sie seien fabelhaft gut darauf vorbereitet, dass ihre Kinder aus dem Haus gehen. Sie haben nach der Schule ja selbst neue Ufer gesucht, weite Reisen gemacht, wilde Abenteuer durchlitten. Nichts ist ihnen passiert, sonst hätten sie es schließlich gar nicht mehr erlebt, Eltern zu werden. Deshalb werden sie sich um die Jung-Erwachsenen jetzt keine großen Sorgen machen, ihnen nicht mit überflüssigen Ratschlägen und Warnungen auf die Nerven gehen, sondern sie freudig und stolz in die Welt entlassen. Ist doch eine gute Idee, wenn sie sich vor Ausbildung, Studium und Beruf erst mal den Wind um die Nase wehen lassen.

Dann stehen all diese souveränen Eltern am Flughafen und sehen so aus, als ob ihre Töchter und Söhne sich gerade anschickten, auf der "Mayflower" die Neue Welt zu erkunden. Je nach Charakter sieht man ein tapferes Lächeln, ein zitterndes Kinn oder rote Augen. Jedes Gesicht zeigt oder verbirgt dasselbe: Angst. Nackte Angst.

Also, bei mir war das natürlich anders. Dass ich in den letzten Wochen ein bisschen reizbar war und in den Tagen vor Noras Abreise kaum geschlafen habe, hatte sicher andere Gründe. Es war bestimmt auch nur Zufall, dass nach dem Abschied von meiner Tochter beim Frühstück mit Freunden das Gespräch plötzlich auf Beerdigungen kam.

Gewiss, man macht sich Gedanken. Wie sicher sitzt Mubarak eigentlich im Sattel? Hat sie wirklich alle Impfungen? Und sie wird doch vernünftig genug sein, um zu wissen, dass sie nachts nicht alleine aus dem Haus gehen sollte? Oder vielmehr: dass sie am besten gar nicht aus dem Haus gehen sollte. Nicht mal mit militärischem Geleitschutz. Auch tagsüber nicht.

Dann ruft sie an. Sie hat jetzt eine ägyptische Handynummer. Die Wohnung ist schön, die Mitbewohnerin nett. Sie können sogar deutsches Fernsehen empfangen. Soll heißen: Im Herbst kann sie auf Vox die nächste Staffel der Gilmore Girls sehen. Jan ist neidisch. In Dublin kriegt er Vox nicht. Eva ist ebenfalls neidisch. Weil Nora auch McLeods Töchter sehen kann. Sie nicht.

Globalisierung ist toll. Neue Techniken sind toll. Schade, dass die Welt sich überall immer ähnlicher wird? Furchtbar, dieser internationale Einheitsbrei aus Musik, Film, sogar Nachrichtensendungen? Schrecklich, wie die einzelnen Kulturen unter diesem Brei verschwinden? Ja. Dreimal ja. Aber es bleibt immer noch genug Fremdes in der Fremde. Und Vertrautes beruhigt halt. Diejenigen, die gehen - aber noch mehr diejenigen, die zurückbleiben. Irgendwie bin ich nicht mehr so reizbar. Woran immer das liegen mag.

Ich habe mir jetzt Skype auf den Labtop geladen. Kann ja nicht schaden. Außerdem gebe ich die jahrelange Handy-Verweigerung auf, die ich mir als kleine Exzentrik bisher geleistet habe. Noras Großmutter hat immer behauptet, dass sie mit Mails nicht klarkommt. Plötzlich kann sies. Jetzt will sie sich zeigen lassen, wie man sich in einem Chat-Forum anmeldet. Globalisierung bildet.

Falls es wirklich mal eng werden sollte in Ägypten, dann kann Nora ja tatsächlich zu Hause bleiben. "Gilmore Girls" gucken. Ein erfreulicher Gedanke.

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