Tennis-Star Capriati: Sinnfragen einer Siegerin

Jennifer Capriati, frühere Nummer eins im Profitennis, spricht erstmals über ihre Depressionen und den Tenniszirkus, in dem sie sich selbst verlor.

Mitten drin im Tennis-Zirkus: Capriti bei den French Open 2004 Bild: dpa

NEW YORK taz Abends präsentierte Maria Scharapowa das neue Kleid. Dem kleinen Schwarzen, in dem sie vor einem Jahr den Titel gewonnen hatte, folgte diesmal ein leuchtend Rotes; Strasssteinchen glitzern am Halsausschnitt. Wenn man heutzutage ein Star wie die Scharapowa ist, dann zieht man so ein Kleid nicht einfach aus der Plastikhülle, sondern stellt es zunächst in einer trendigen Location vor - zum Beispiel auf der Dachterrasse des Rockefeller-Centers.

Ja, es ist viel Chichi im Spiel; manchmal könnte man glatt vergessen, dass es in erster Linie darum geht, den Ball übers Netz zu spielen. Scharapowa ist clever genug, um im grellen Licht der Scheinwerfer nicht den Überblick zu verlieren. Sie bestimmt die Regeln, und was sie nicht tun will, das tut sie auch nicht. Schwer vorstellbar, dass sie in 15 Jahren irgendwo in Florida sitzt, auf ihr Leben und ihre Karriere zurückblickt und sich eingestehen muss, dass das eine im anderen untergegangen ist.

So wie Jennifer Capriati, die ein Star war, als Äußerlichkeiten noch keine so große Rolle spielten, und die dieses manchmal so künstliche Leben trotzdem nicht ausgehalten hat. Die Amerikanerin wartet dieser Tage in Tampa/Florida auf den Einzug ins neue Haus, aber eigentlich ist es ihr egal, wohin sie ziehen wird. In einer Geschichte der September-Ausgabe des renommierten US-Magazins Inside Tennis gibt sie genau drei Jahre nach ihrem letzten Auftritt bei den US Open und knapp drei Jahre nach ihrem bisher letzten Spiel einen Einblick in ihr Leben, das geprägt ist von schweren Depressionen. "Ich wäre am liebsten nicht mehr auf diesem Planeten", sagt sie, "denn tief drinnen fühle ich mich abscheulich. Ich ertrage meine eigene Haut nicht mehr, und ich möchte nur noch raus." Sie gibt zu, an Selbstmord gedacht zu haben, getrieben von der Frage: "Wenn ich Tennis nicht mehr habe, wer bin ich dann? Was bin ich dann? Ich habe nur darin gelebt."

Sie ist mittlerweile 31, also sicher nicht zu alt, aber es sieht nicht so aus, als werde sie auf den Tennisplatz zurückkehren. Zwei Schulteroperationen haben nicht die gewünschte Heilung gebracht, demnächst steht eine dritte an, dazu ein Eingriff am Handgelenk, und mit dem Rücken stimmt auch etwas nicht. Nichts wünscht sie sich mehr als ein Happyend nach all den Turbulenzen: Sie beginnt zu spielen als kleine Jenny mit Pony und Pferdeschwanz, beim ersten Auftritt in New York ist sie 14 Jahre und fünf Monate alt - Daddys Liebling und gehätscheltes Talent des amerikanischen Tennisverbandes. Zwei Jahre später ist sie Olympiasiegerin in Barcelona, schon Dollar-Millionärin, und jeder wartet auf den ersten Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier. Nach einer frühen Niederlage bei den US Open 1993 hat sie genug von allem; vom Diktat ihres ehrgeizigen Vaters Stefano, vom Gefühl, von den Erwartungen fremder Menschen überrollt zu werden. Zwei Jahre kehrt sie dem Tennis den Rücken, und die ganze Welt kriegt es mit, als sie wegen Besitzes von Marihuana nach einer Razzia in einem Hotel in Florida verhaftet wird.

Die Rückkehr zum Tennis 1996, danach drei Jahre mit vielen Pausen und Niederlagen, doch ab 1999 wie aus dem Nichts ein glorreicher zweiter Teil ihrer Karriere. 2001 ist sie die beste Spielerin des Jahres, gewinnt bei den Australian Open den ersten Grand-Slam-Titel und bei den French Open ein paar Monate später den nächsten, und als sie im Oktober die Nummer eins der Weltrangliste wird, da ist die Geschichte eines fantastischen Comebacks perfekt.

Aber selbst in dieser Zeit fühlt sie sich hinter der Glamour-Fassade hohl. Sie fragt sich: Wen sehen die Leute, wenn sie mir auf die Schulter klopfen? Die Tennisspielerin, Multimillionärin, eingespannt in ein System, das Zweifel nicht erlaubt? Das nächste Jahr ist nicht viel schlechter, doch dann geht es wieder bergab: Verletzungen, Auszeiten, Zweifel. Und Fragen. Wenn ich nicht gewinne, was bin ich dann noch wert? Darauf hat sie bis jetzt keine Antwort gefunden. Aber sie weiß: "Es geht jetzt um den Rest meines Lebens. Wie kann ich es schaffen, auf dieser Erde zu leben und glücklich damit zu sein, so aufzuwachen, wie ich bin. Will ich wieder Tennis spielen, nur um die Lücke zu füllen? Wäre das nicht wieder eine Flucht?"

Sie hat lange nicht den Mut gehabt, über all das zu reden, weil sie Angst davor hatte. Inzwischen ist sie in Therapie, aber es ist ihr klar, dass sie den Kampf gegen die Dämonen allein bestehen muss. Dass sie vom US-Tennisverband und auch von IMG, ihrer Agentur, lange nichts mehr gehört hat, das nimmt sie hin, ohne sich zu wundern. Zumindest so viel steht für sie fest: "Ich habe die Wahl. Will ich mich von all dem besiegen lassen, oder will ich wirklich was dagegen tun? Auch wenn es wehtut, ich muss das herausfinden.

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