Krippenplatz-Interview: "Wir brauchen einen Marshallplan"

Die Vorzeige-Kindergärtnerin der Nation, Ilse Wehrmann, findet den neuen Kitatrick der Koalition gut - allerdings fehlt noch Geld im System.

Ein Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz? Das stimmt hoffnungsvoll, findet Wehrmann. Bild: dpa

taz: Frau Wehrmann, Bund und Länder haben anscheinend einen Weg gefunden, ausreichend Krippenplätze für unter Dreijährige zur Verfügung zu stellen. Trauen Sie dem Frieden?

Ilse Wehrmann: Wir brauchen einen Marshallplan für die frühkindliche Bildung, und da ist man nun tatsächlich einen großen Schritt vorangekommen. Wenn tatsächlich ein Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ins Gesetz kommt, dann stimmt mich das hoffnungsvoll. Bislang hängt vor Ort die Versorgung mit Krippenplätzen von der Einsicht des Bürgermeisters und den Finanzen der Kommune ab.

Wo ist der Haken an dieser Einigung zwischen Bund und Ländern?

Es muss endlich über die Qualität der entstehenden Plätze für kleine Kinder gesprochen werden. Bis jetzt geht es immer nur darum, ob die Kinder Plätze bekommen. Wichtig ist aber auch: Wie sieht die Betreuung aus?

Und, wie soll sie aussehen?

Krippen brauchen sehr gut ausgebildetes Personal, es müssen die geeigneten Räumlichkeiten da sein und vor allem viel Zeit. Zeit, um die Kleinkinder einzugewöhnen und ihnen die Welt zu zeigen

das bedeutet möglichst viele ErzieherInnen.

Ja, das ist die Schlüsselfrage, und die ist noch nicht beantwortet. Bei Kleinkindern brauchen sie für eine Gruppe von acht Kindern drei bis vier Fachkräfte. Das ist der Betreuungsschlüssel, den wir in den Modellkitas bei DaimlerChrysler anwenden.

Sie wollen tatsächlich einen Erzieher für zwei Kinder?

Ja, und das ist bei Kindern unter einem Jahr nicht nur aus pädagogischen Gründen nötig. Wenn eine Einrichtung Eltern eine ganzjährige Betreuung anbieten will - also auch in den Ferienzeiten - die von 7.30 bis 18 Uhr dauert, dann brauchen Sie diese Zahl an Fachkräften.

Wie beurteilen Sie den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz, den es geben soll?

Der sorgt ab 2013 dafür, dass die Eltern den Platz für ihr Kind verlangen können. Das bedeutet, dass das Bundesgeld zweckgebunden ausgegeben werden muss. Ich finde das richtig. Nur haben wir mit einem Rechtsanspruch schon einmal eine Bauchlandung erlebt.

Was lief bei den Kindergartenplätzen denn falsch?

Sie kamen, aber weit unter dem Niveau, das nötig und in anderen europäischen Ländern üblich ist. Dort kommt eine akademische ausgebildete Erzieherin auf 8 Kinder. Bei uns muss eine Fachkraft rechnerisch 24 Kinder betreuen. Dabei handelt es sich, wohlgemerkt, um ErzieherInnen, die in anderen Ländern in einer Kita nicht arbeiten dürften - weil ihnen die Qualifikation fehlt.

Was muss geschehen?

Es muss mehr Geld ins System. 750.000 Plätze für unter Dreijährige, das kostet rund 12 Milliarden Euro. Dann finden wir mit unserem veralteten System frühkindlicher Erziehung Anschluss an Europa.

Und was heißt das inhaltlich?

Dass wir die ErzieherInnen endlich viel besser ausbilden. Im Grunde müssten wir sofort anfangen, unsere 325.000 ErzieherInnen fortzubilden. Neues Personal sollte einen akademischem Abschluss besitzen. Außerdem muss ein Kita-Gütesiegel her. Damit Eltern beurteilen können, in welche Kita oder Krippe sie ihr Kind geben.

INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER

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