Merkels Afrikareise: "Gute Entwicklung da unten"

Auf ihrer Reise will Merkel auch nach Liberia. Bevor es im Bürgerkrieg versank, war das Land ein wichtiger Wirtschaftspartner. Unter der einzigen Staatpräsidentin des Kontinents keimt neue Hoffnung.

Trafen sich schon im Mai im Kanzleramt: Liberias Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf und Merkel. Bild: ap

Der "Tag der deutschen Einheit" war noch nicht vorbei, als Bundeskanzlerin Merkel gestern Abend zu ihrer ersten Afrikareise aufbrach. Heute ist sie in Äthiopien, reist dann nach Südafrika und schließlich nach Liberia, einem kleinen Land in Westafrika, in dem erst vor kurzem einer der brutalsten Bürgerkriege des Kontinents wütete. Dort wird sie, die erste deutsche Bundeskanzlerin, Liberias Staatspräsidentin Ellen Johnson-Sirleaf treffen, das einzige weibliche Staatsoberhaupt Afrikas.

In Liberia wird Merkel auf Spuren des westdeutschen Staatspräsidenten Heinrich Lübke stoßen. Dieser soll bei einem Besuch 1962 eine Rede mit den berühmt gewordenen Worten begonnen haben: "Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger." Zwar findet sich keine offizielle Dokumentation dieser Ungeheuerlichkeit, und einige vermuten sogar, dass sie erfunden wurde. Aber im Empfangszimmer der wunderschön zwischen Atlantik und einem Regenwald-Biotop gelegenen deutschen Botschaft in der liberischen Hauptstadt Monrovia hängt ein Schwarzweißfoto, das der Botschafter kürzlich in seinen Umzugskartons entdeckte.

Es zeigt Lübke mit dem damaligen liberianischen Präsidenten William Tubman, daneben Gerhard Schröder. Nicht der, sondern der CDU-Politiker, der Anfang der Sechzigerjahre Außenminister war. Auf dem Foto steht die Männerrunde vor einer Gesteinswand in den Bong-Minen. Dort hatten Thyssen, Krupp und Hoesch seit Ende der Fünfzigerjahre Eisenerz abgebaut und dabei rund 500 Millionen US-Dollar investiert. Die Bong-Minen galten als strategische Eisenerz-Reserve Deutschlands, bis im Jahr 1990 in Liberia ein Bürgerkrieg ausbrach und die über 200 deutschen Konzernangestellten evakuiert werden mussten.

Auf ihrer ersten Afrikareise als Bundeskanzlerin besucht Angela Merkel vom 3. bis 8. Oktober Äthiopien, Südafrika und Liberia. Äthiopien ist als Sitz der Afrikanischen Union (AU) interessant; dorthin wird auch Ghanas Präsident John Kufuor als derzeitiger AU-Vorsitzender zu Gesprächen mit Merkel kommen. Südafrika ist der wichtigste Wirtschaftspartner Deutschlands in Afrika und auch wegen der 2010 anstehenden Fußball-WM ein interessantes Investitionsziel für deutsche Unternehmen. Liberia ist eine Zusatzstation, die wohl vor allem dem Status der dortigen Staatschefin Ellen Johnson-Sirleaf als Afrikas einziger regierender Frau und als führende Vertreterin afrikanischer Reformstaaten zuzuschreiben ist.

Die Bundeskanzlerin wird von einer hochrangigen deutschen Wirtschaftsdelegation begleitet. In Südafrika sollen Marktchancen für deutsche Exporteure besprochen werden. In Äthiopien wird die Commerzbank ihre erste Filiale eröffnen. Liberia hofft auf deutsche Zusagen beim Schuldenerlass. D.J.

Nun sind internationale Investoren auf dem Weg zurück nach Westafrika. Nach zwei Jahrzehnten, in denen die Bergbauvorkommen im Dreiländereck zwischen Liberia, Sierra Leone und Guinea vor allem Bürgerkriegsarmeen und Milizen anzogen. Im Vorwort zum neuen "Investorss Guide to Liberia" schreibt die Staatspräsidentin Ellen Johnson-Sirleaf: "Liberia ist offen für Geschäfte. Kommen Sie und helfen Sie beim Wiederaufbau unseres Landes!" Die Botschaft hat sich offensichtlich bei deutschen Unternehmern herumgesprochen - zahlreiche Manager begleiten Merkel auf ihrer Afrika-Reise.

Liberias neuer Investorenführer wurde von der National Investment Commission herausgegeben. Obwohl schon 1979 gegründet, konnte sie erst jetzt mit der Arbeit beginnen, nach einer Generation politischer Instabilität. Es ist wie eine Rückkehr zu früheren Zeiten: Der Vorsitzende der Kommission, Richard Tolbert, ist ein früherer Wall-Street-Banker und Neffe des einstigen liberianischen Präsidenten Tolbert, dessen Sturz 1980 die Epoche der Machtkämpfe und Bürgerkriege einleitete, von denen Liberia sich erst heute langsam erholt.

Im Haus der National Investment Commission in Monrovia ist ein "One-Stop-Shop" eingerichtet, der ausländischen Investoren den Weg erleichtern soll. Den Wiederaufbau des Landes koordiniert das Liberia Reconstruction and Development Committee. Die Zahlen, mit denen die Planer des Wiederaufbaus hantieren, sind beeindruckend: Eine internationale Geberkonferenz stellte im Jahr 2004 dem Land insgesamt rund 500 Millionen US-Dollar Entwicklungshilfe in Aussicht, für dieses Jahr rechnet der Internationale Währungsfonds mit einem Wirtschaftswachstum von 7,9 Prozent, ab dem kommenden Jahr sollen es dank des Booms in der Forst- und Landwirtschaft elf Prozent werden. Noch aber kommt das Wirtschaftswachstum der Masse der Bevölkerung wenig zugute, weil private Investoren zögern, sich langfristig zu engagieren.

Die Grundlage des Wiederaufbaus ist das Eisenerz. "Wir werden rund eine Milliarde US-Dollar zur Ausbeutung des Eisenerzes in den südlichen Nimba-Bergen investieren", sagt Harry Cooper, der örtliche Sprecher des weltgrößten Stahlkonzerns ArcelorMittal. Zum Vergleich: Liberias Bruttosozialprodukt beläuft sich auf eine halbe Milliarde US-Dollar, der Staatshaushalt umfasst 160 Millionen US-Dollar. Mittal "ist unsere Chance", sagt Murray Gesler, der Sprecher des Bergbauministeriums.

Bild: afp

Der Konzern plante schon seit Jahren diese Investition. Aber bevor das Milliardengeschäft losging, wurde Ende 2005 Liberias neue Regierung gewählt. Und kurz nachdem Wahlsiegerin Ellen Johnson-Sirleaf ins Amt eingeführt war, verhandelte sie das Investitionsprojekt von Neuem und erreichte bessere Bedingungen für Liberia. Das ursprüngliche Abkommen hatte Mittal das Eigentum an der Eisenbahnlinie aus den Bergwerken in den Hafen Buchanan übertragen. Das wurde rückgängig gemacht und gegen Johnson-Sirleafs Vorgänger Gyude Bryant ein Korruptionsverfahren eingeleitet.

Jetzt verstehen sich Regierung und Konzern wieder prächtig. Einzelheiten, was am ersten Vertrag mit Mittal schlecht war, will man heute im Bergbauministerium nicht nennen. Es heißt nur, es wurde nachverhandelt, weil jeder Vertrag verbesserbar sei. Mittal wiederum bestätigt seine Investitionspläne: "Wir werden bis zu 3.500 Liberianer direkt beschäftigen und bis zu 30.000 indirekt", sagt Konzernsprecher Cooper. Mangels Infrastruktur in den Nimba-Bergen wird ArcelorMittal eine eigene Stadt bauen müssen, mit Schulen, Krankenhäusern und einer fast 230 Kilometer langen Bahnlinie an die Küste.

"Wir haben eine Strategie, die wir vertikale Integration nennen. Darunter verstehen wir, dass wir Zulieferer aus der Region ermuntern wollen. Es muss nicht alles aus Europa oder Amerika angeschafft werden." Geschätzte 250 Millionen Tonnen Eisenerz lagern noch in diesem Teil der Nimba-Berge. Vor dem Bürgerkrieg gab es hier bereits umfangreiche Explorationen, zuletzt vom schwedisch-amerikanischen Konzern Lamco. Zu ihrer Ausbeutung will sich ArcelorMittal Steel die existierende Bahnlinie zunutze machen, die von der Bergbaustadt Yekepa bis zum Atlantikhafen in Buchanan führt. Diese bedarf einer kompletten Neuinstandsetzung. Mit Beginn der Trockenzeit in diesen Wochen sollen die Arbeiten beginnen.

Eisenerzbergbau hat eine lange Tradition in Liberia. Die deutschen Stahlunternehmen Thyssen, Krupp und Hoesch hatten seit den Fünfzigerjahren die Bong-Eisenerzmine weiter westlich in Liberia, damals die größte deutsche Investition in Afrika. Interessant ist, dass nun auch im nördlichen Zweidrittel der Nimba-Berge, auf Guineas Seite der Grenze, der Eisenerzabbau beginnen soll. Eigentlich würde es naheliegen, auch Guineas Eisenerz über Liberias Eisenbahnlinie und Atlantikhafen zu exportieren. Doch vor wenigen Monaten beschloss die guineische Regierung mit Investoren ein Investitionsprojekt von etwa 14 Milliarden US-Dollar, das den Bau einer eigenen, aber viel längeren Eisenbahnlinie von diesem Teil Guineas bis in die 800 Kilometer entfernte Hauptstadt Conakry vorsieht. Die Bahnlinie allein wird etwa dreieinhalb Milliarden US-Dollar kosten. Aber es lohnt sich. Dem Eisenerz in den Nimba-Bergen wird mit einem Eisenanteil von über 60 Prozent eine sehr rentable Qualität nachgesagt. Die Bong-Minen hatten nur rund 37 Prozent.

Liberias Bergbauministeriumssprecher Gesler verspricht, dass es nicht beim Eisenerz bleiben wird. Der Diamantenexport beginnt allmählich wieder, das Unternehmen Mano River Resources will geschätzt 43 Tonnen reines Gold aus liberianischer Erde holen. Aufbruchstimmung herrscht auch in der Forstwirtschaft. In den vergangenen Jahren galt der Export von Tropenholz als einer der größten Devisenbringer Liberias, auch wenn davon meist die Bürgerkriegsarmeen profitierten. Ein völlig überarbeitetes Forstgesetz setzt neue Maßstäbe für den Umgang mit der Ressource Wald. Der Leiter der Forstbehörde, John Wood, sagt, dass Konzessionen für Waldgebiete zwischen 50.000 und 400.000 Hektar mit einer Reihe von Bedingungen einhergehen. So ist nach einer Übergangsphase vorgesehen, nur noch den Export von lokal verarbeitetem Holz zuzulassen. Das bedeutet, dass mit dem Erwerb der großen Konzession auch die Pflicht besteht, in Sägemühlen und andere weiterverarbeitende Einrichtungen zu investieren.

Die Konzessionsvergabe im Regenwald beginnt in diesen Wochen. Bereits Ende dieses Jahres erwartet John Wood den Wiederbeginn der regulären Holzfällerarbeiten. Das französische Unternehmen Groupe Rougier hat bereits Interesse angemeldet. Der Südosten an der Grenze zur Elfenbeinküste gilt als Hauptregion der Tropenholzwirtschaft.

In der Landwirtschaft steht vor allem der Kautschukanbau im Mittelpunkt des Interesses. Der US-amerikanische Gummikonzern Firestone betreibt nahe der Hauptstadt Monrovia wieder eine der weltgrößten Plantagen. Auch in anderen Landesteilen gewinnt dieser nachwachsende Rohstoff an Bedeutung, und sogar aus der Elfenbeinküste kommen Berichte, dass ehemalige Kakao-Kleinbauern zu Kautschuk wechseln.

Dass diese gewaltige Ausbeutung der Bodenschätze nicht zu einem erneuten Raubbau führt und die Menschen ins Elend stürzt, sollen staatliche Institutionen gewährleisten, eine Umweltbehörde und eine Vertretung der Kommunen. Jedes großunternehmerische Projekt muss mit diesen Instanzen und nochmals mit der betroffenen Bevölkerung abgesprochen werden. In allen Ländern der Region liegen die wesentlichen Aufgaben der kommenden Jahre im Aufbau einer Infrastruktur. Öffentlicher Strom ist so gut wie nicht vorhanden, ebenso wenig eine Wasserversorgung, und Reisen auf den Überlandstraßen sind Abenteuerfahrten auf unbefestigten Pfaden.

Wenn Angela Merkel, die positive Entwicklung im Land würdigt, sollte sie auf ihre Wortwahl besser achten als einst Lübke. Der verdutzte einmal, und das ist verbrieft, einen Abgesandten aus Mauretanien mit den Worten: "Ich wünsche Ihnen eine gute Entwicklung da unten!"

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