„Das sind auch meine Bücher“

SPRACHE Hadija Haruna über die Debatte über diskriminierende Ausdrücke in Kinderbüchern, die Abwehrreflexe von Feuilletonisten und Rassismus in den Medien

■ 32, ist Journalistin und in der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland aktiv. Sie lebt in Frankfurt und arbeitet für die Zeit und den Hessischen Rundfunk.

INTERVIEW DANIEL BAX

taz: Frau Haruna, verstehen Sie, warum die Debatte über diskriminierende Begriffe in Kinderbüchern solche Wellen schlägt? Die Zeit titelt mit Witzen, der Literaturkritiker Denis Scheck hat sich in der ARD das Gesicht schwarz geschminkt. Warum reagieren erwachsene Feuilletonisten so kindisch?

Hadija Haruna: Ich glaube, dahinter steht die Angst, sich von den eigenen Vorurteilen verabschieden zu müssen. Anders kann ich mir diese heftigen Abwehrreaktionen nicht erklären. Viele benutzen das N-Wort noch immer, bewusst oder unbewusst. Vielleicht fühlen sie sich ertappt. Reflektieren zu müssen, dass man einen rassistischen Begriff benutzt, obwohl man um seine abwertende Bedeutung weiß, ist schmerzhaft. Manche weichen dem lieber aus – oder setzen verhöhnend noch einen drauf.

Kritiker sehen in der Änderung von Kinderbüchern einen Akt der Zensur. Sie nicht?

Wenn ein Autor und ein Verlag sich aus freien Stücken dazu entscheiden, kann man nicht von Zensur reden. Änderungen in der Literatur sind ja nichts Neues. Und andere Änderungen hat man hingenommen.

Viele sagen, das N-Wort zu lesen mache noch niemanden zum Rassisten, es habe ihnen persönlich nicht geschadet.

Die Debatte zeigt, dass es ihnen offenbar doch geschadet hat. Denn manche tun jetzt so, als wollten sich irgendwelche Fremden an deutschem Kulturgut vergreifen. Sie ignorieren, dass nicht alle Menschen in Deutschland weiß sind – und damit auch nicht alle Leser. Das sind auch meine Kinderbücher, ich habe die auch als Kind gelesen! Und genau wie das neunjährige Mädchen, das ihre Wut in einem Leserbrief an die Zeit auf den Punkt gebracht hat, habe ich dieses Gefühl der Entwertung, das sich mit diesem Wort verbindet, als eine Verletzung empfunden. Die Reaktion ist dann häufig: Sei doch nicht so empfindlich! Es ist nicht so gemeint! Das kriegen schwarze Kinder ständig zu hören. Damit werden ihre Lebensrealität und ihre Erfahrungen negiert.

Denis Scheck meint, das Wort sei früher nicht rassistisch konnotiert gewesen – und Kinder sollten lernen, dass Sprache einem steten Wandel unterliegt.

Das N-Wort war früher schon rassistisch. Aber früher gehörte dieser Rassismus eben zum guten Ton. Heute weiß man darum – und benutzt das Wort trotzdem weiter. Aber was machen Kinder denn, wenn sie diesen Wörtern in Kinderbüchern begegnen? Weiße Kinder lernen, was „N“ sind und dass Weiße ihnen überlegen sind. Schwarze Kinder lernen, dass sie mit „N“ gemeint und minderwertig sind.

Ist es nicht auch eine Form der Geschichtsfälschung, diesen Rassismus nachträglich tilgen zu wollen?

Man kann Astrid Lindgren und ihr Werk, das dem damaligen Zeitgeist entspricht, nicht umschreiben. Darum geht es auch nicht. Aber man kann ihm die Spitze nehmen – damit dieses Denken endlich aus den Köpfen verschwindet. Wir reden hier ja nicht über Shakespeare. Wir reden über Bücher für Kinder. Wie will man denen erklären, dass man ihnen ein Wort vorliest, das sie selbst nicht benutzen sollen? Zumal Kinder bekannt dafür sind, dass sie etwas, das ihnen verboten wird, erst recht machen? Das frage ich mich.

Hat sich die Diskussion dadurch verändert, dass es in den Medien immer mehr afrodeutsche Journalisten gibt?

Es ist ein Fortschritt, dass die Zeitungen heute auch unsere Stimmen zu Wort kommen lassen. Aber von einem Gespräch auf Augenhöhe kann man noch nicht sprechen. Es ist für schwarze Journalistinnen und Journalisten auch nicht immer einfach, sich in solchen Debatten in ihren Redaktionen zu behaupten.

Welche Bücher würden Sie selbst Ihrem Kind vorlesen?

Ich will keinem vorschreiben, was er seinen Kindern vorliest. Aber Eltern fällen damit pädagogische Entscheidungen. Wer seinen Kindern eine rassistische Weltsicht beibringen will, der soll das machen. Aber ich würde meinen Kindern zum Beispiel entsprechende Szenen aus „Pippi Langstrumpf“ oder das Buch „Jim Knopf“ nicht vorlesen, weil ich sie nicht diesen Bildern aussetzen möchte.