Das Bröckeln der „alten Kruste“ Blair

Nach seiner ersten großen parlamentarischen Niederlage in acht Jahren an der Macht ist der britische Premier angeschlagen. Er findet die Labour-Dissidenten, die seine Verschärfung der Antiterrorgesetze kippten, „völlig verantwortungslos“

„Das letzte Quaken einer lahmen Ente“„Fang schon mal an zu packen, Cherie“

VON RALF SOTSCHECK

Der britische Innenminister Charles Clarke stellte sich gestern schützend vor den angeschlagenen Tony Blair. Er nahm die Schuld für die erste Unterhaus-Niederlage der Labour-Regierung seit ihrem Amtsantritt 1997 auf sich. „Meine Annahme, dass es eine Mehrheit im Unterhaus für die 90-Tage-Regelung gab, hat sich leider als falsch herausgestellt“, sagte er.

Am Vorabend hatte das Unterhaus die Gesetzesvorlage der Regierung, wonach Terror-Verdächtige in Zukunft 90 Tage lang ohne Anklage festgehalten werden dürfen, mit einer überraschend deutlichen Mehrheit von 31 Stimmen abgelehnt. Blair und sein Namensvetter, Polizeichef Ian Blair, müssen sich mit der Erweiterung der Internierung von 14 auf 28 Tage begnügen, die später am Abend mit 33 Stimmen Mehrheit abgesegnet wurde.

Die Gesetzesvorlage ging gestern in dritter Lesung durch das Unterhaus und liegt nun dem Oberhaus zur Abstimmung vor. Nachdem der umstrittenste Punkt aus dem Gesetz gestrichen worden ist, sind keine weiteren Schwierigkeiten zu erwarten.

Clarke hatte geahnt, dass die Sache schief gehen würde, und den Premierminister im Vorfeld zu einem Kompromiss gedrängt. Blair ließ sich jedoch nicht beirren. Der Innenminister haderte gestern nun mit den „Serien-Dissidenten“ in der Labour Party. „Es gibt eine Gruppe von Leuten, die Tony Blair bei jeder Gelegenheit eins auf die Nase geben wollen“, sagte er. „Sie verschwören sich mit den Tories.“ Am Mittwoch waren es 49 Labour-Abgeordnete, darunter elf frühere Kabinettsminister, die den Fraktionszwang ignorierten.

Die rechte Presse witterte gestern bereits Blairs Abgang: „Das letzte Quaken einer lahmen Ente“, schrieb der Daily Star. Die Daily Mail und die Times fragten: „Der Anfang vom Ende?“ Und der linke Mirror empfahl Blairs Frau: „Fang schon mal an zu packen, Cherie.“ Blair betonte gestern jedoch, dass er nach wie vor gedenke, bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt zu bleiben. „Man muss abwarten, was mit unserem Kernprogramm geschieht“, sagte er. „Ich glaube nicht, dass wir dabei verlieren werden.“ Das ist aber gar nicht so unwahrscheinlich, denn Reformen im Bildungsbereich und im Gesundheitswesen, über die in den kommenden Monaten abgestimmt werden soll, sind innerhalb der Labour-Partei mindestens ebenso umstritten wie die Antiterrorgesetze.

Der muslimische Labour-Lord Ahmed hatte vor der Abstimmung gewarnt, dass ein Internierungsgesetz überwiegend gegen Muslime angewendet würde, genau wie willkürliche polizeiliche Durchsuchungen vor allem gegen Minderheiten gerichtet seien. Tory-Chef Michael Howard fügte mit Blick auf Frankreich hinzu: „Wir alle wollen den Terrorismus effektiv bekämpfen. Aber man muss nur über den Ärmelkanal blicken, um zu sehen, was geschieht, wenn man Minderheiten brüskiert.“

Blair zeigte sich uneinsichtig. „Die Bevölkerung ist der Meinung, dass sich das Parlament völlig verantwortungslos verhalten hat, daran habe ich keinen Zweifel“, sagte er. Er verweist darauf, dass in Umfragen die Bevölkerung hinter dem 90-Tage-Plan steht. Die Niederlage hat er sich jedoch selbst zuzuschreiben. Er glaubte, es sich leisten zu können, die Labour-Dissidenten durch seine Kompromisslosigkeit verärgern und die Abstimmung mit Hilfe einiger Tory-Dissidenten gewinnen zu können. Doch die hielten sich an ihren Fraktionszwang, auch wenn viele von ihnen einräumten, dass sie mit Blairs Gesetzesvorlage durchaus einverstanden seien.

So blieben Blair nur noch die neun Abgeordneten der protestantischen nordirischen Democratic Unionist Party (DUP), aber auch die stimmten aus Rache gegen die Regierung, weil sie flüchtigen nordirischen Terroristen Straffreiheit gewähren will. Der Pfarrer und DUP-Chef Ian Paisley höhnte: „Blairs Autorität ist geschwunden. Da hilft auch kein Zucker auf dem Kuchen. Das ist ja nicht mal mehr ein Kuchen, es ist nur eine alte Kruste.“

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