Kolumne Mail aus Manila: Hilfe, wir verbuschen!

Wenn man als Deutscher nur lange genug auf den Philippinen wohnt, isst man sogar geraspeltes Eis mit Kondensmilch und Gelatinebohnen statt Vollkornbrot.

Halo-Halo ist das beliebteste Dessert der Philippinen: ein Haufen fein geraspeltes Eis wird mit gesüßter Kondensmilch übergossen und das Ganze mit kleinen Stückchen roter und grüner Götterspeise, Bohnen und Mais in Gelatine und einer Kugel blauvioletter Ube-Eiscreme dekoriert (Ube ist eine Wurzel, die an Süßkartoffeln erinnert). Klingt ekelhaft? Fand ich auch immer.

Bis in diesem Sommer die Fastfoodkette Chow King die Hauptstadt Manila mit einer Werbekampagne für sein Halo-Halo überzog, der niemand entgehen konnte. Nachdem ich einen Monat lang an jeder Ecke auf gigantische Becher voll knatschbunten Halo-Halos geguckt hatte, knickte ich ein: Nach drei Jahren auf den Philippinen wollte ich wenigstens einmal diese Quasinationalspeise probieren. Mit einem Euro für ein gigantisches Glas Halo-Halo war wenig verloren, wenn ich das Ganze nach einigen Löffeln in den nächsten Mülleimer kippen sollte. Soll noch jemand sagen, Werbung würde nicht wirken.

Mein Halo-Halo landete nicht im Müll. Es schmeckte so gut, dass ich es komplett verspeiste, und seither ist keine Woche mehr ohne einen extragroßen Becher des Desserts vergangen. Meine Freunde müssen sich lange Vorträge darüber anhören, dass es sich hierbei um das ultimative südostasiatische Parfait handelt und dass das Gericht die philippinische Nationalkultur gastronomisch zum Ausdruck bringt: Halo-Halo heißt Mischmasch, und was wäre passender für ein malayisches Land, das von Spaniern, Japanern und Amerikanern kolonisiert wurde - und in dem das Fastfood, das bei Chow King sonst serviert wird, aus chinesischen Nudelsuppen und Frühlingsrollen besteht.

Als wir auf die Philippinen gezogen sind, habe ich im ersten halben Jahr fünf Kilo abgenommen. Mir grauste vor dem hiesigen Essen, das oft aus Reis mit Soßen besteht, die in wenig appetitanregenden Grau- und Brauntönen gehalten sind. Drei Jahre später spannt der Hosenbund, und ich suche sonntags auf dem Ökobauernmarkt verbissen nach der besten hausgemachten Fischsoße. Am Anfang hielten mich nur die wöchentlichen Trips zum Schweizer Deli am Leben, wo man Vollkornbrot und Appenzeller kaufen konnte. Inzwischen komme ich aus dem Supermarkt an der Ecke mit Tüten voll Obst zurück, das ich früher gar nicht als Lebensmittel identifiziert hätte. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal Schweizer Käse gegessen habe. Aber den lokalen Kesong Puti, eine Art Mozarella aus Wasserbüffelmilch, haben wir gestern auf Tomatenscheiben zum Abendbrot verschlungen.

Und es ist nicht nur das Essen: Ich sage maybe, wenn ich nein meine, kratze mich demonstrativ am Hinterkopf, wenn ich etwas nicht verstehen will, und lächle, wenn mir der Kragen platzt - wie ein geborener Filipino. Wahrscheinlich werde ich demnächst anfangen, den Weg nicht mit dem Zeigefinger, sondern mit dem gespitztem Mund zu weisen, wie es die Filipinos seit jeher machen. Manchmal wirken meine Anpassungsbemühen wohl streberhaft. Als ich neulich Besuch aus Deutschland bei einer Taxifahrt die Sehenswürdigkeiten in der Innenstadt zeigte, empfahl mir der Taxifahrer beim Aussteigen, ich sollte doch mit Stadtführungen mein Geld verdienen.

Dem Rest der Familie geht es ähnlich: Die Ehefrau wurde beim Verzehr von gegrillten Hühnerdärmen beobachtet, die es hier an jeder Ecke gibt und bei Europäern in der Regel mühsam unterdrückten Brechreiz auslösen. Unsere vierjährige Tochter kann angeblich nicht schlafen, wenn sie nicht die ganze Nacht von einem Ventilator angeblasen wird. Und wie sollen wir ihr nur beibringen, dass sie in Deutschland nie wieder ihre Lieblingsfrucht Rambutan, eine südostasiatische Variante der Litschi, bekommen wird, weil die nicht importiert wird. Von den zuckersüßen philippinischen Mangos ganz zu schweigen

Der professionelle expat hat für diesen Prozess einen schönen Namen. Er nennt ihn Verbuschen. Ich konnte früher nie verstehen, wieso die deutschen Botschaften und Stiftungen im Ausland nach fünf Jahren ihre deutschen Mitarbeiter abziehen und in ein anderes Land schicken - schließlich kannten sie sich in ihrem Gastland dann richtig gut aus. Heute verstehe ich die höhere Weisheit dieser Methode. Nach einigen Jahren fern der Heimat hat man sich im neuen Zuhause so gut eingewöhnt, dass man sogar geraspeltes Eis mit Kondensmilch und Gelatinebohnen isst, wenn alle anderen das auch tun. Wie soll man da noch deutsche Interessen im Ausland vertreten?

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