: Todescocktail für durchaus heilbare Kranke
Die Staatsanwaltschaft Augsburg ermittelt gegen zwei Ärzte wegen Sterbehilfe nach einer falschen Diagnose
AUGSBURG taz ■ Wohl zum ersten Mal muss sich die deutsche Justiz mit einem Fall von Sterbehilfe bei einer nicht unheilbar kranken Patientin befassen. Nach dem Freitod einer 69-jährigen Augsburgerin wird jetzt gegen einen Schweizer und einen Augsburger Arzt ermittelt.
Im April war die Frau nach Zürich gefahren und hatte dort einen tödlichen „Giftcocktail“ erhalten. Ihr deutscher Hausarzt soll ein falsches Attest ausgestellt haben, das ihr einen unheilbaren Leberschaden bescheinigt. Eine Obduktion ergab jedoch, dass sie nicht unheilbar krank war. Mit dem Attest aber bekam sie von einem Schweizer Arzt der Sterbehilfeorganisation „Dignitas“ das tödliche Medikament Natrium-Pentobarbital.
„Wir ermitteln gegen den Schweizer Arzt wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung“, so Oberstaatsanwalt Hans-Jürgen Kolb. „Gegen den Augsburger Arzt wird wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung und der Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse ermittelt.“ Ein Bestattungsinstitut hatte sich, wie vorgeschrieben, an die Kripo gewandt, weil ihm aufgefallen war, dass die Frau eines nicht natürlichen Todes gestorben war.
Das Schweizer Magazin Facts wirft der Sterbehilfeorganisation „Dignitas“ vor, nicht geprüft zu haben, ob der Befund des Arztes der Realität entsprach. Dignitas-Generalsekretär Ludwig A. Minelli weist dies mit Nachdruck zurück. Er bezieht sich auf einen medizinischen Bericht des Klinikums Augsburg, in dem unter anderem von „akuter alkoholtoxischer Hepatitis“ und einer „histologisch gesicherten beginnenden Leberzirrhose“ die Rede ist. Im Übrigen seien weder er noch Dignitas bislang von den Staatsanwälten gehört worden.
In der Tat ist Minelli bisher im konkreten Fall nicht ins Visier der Ermittler geraten. Oberstaatsanwalt Kolb: „Ich habe bislang keine Erkenntnis, dass Herr Minelli – außer der Tatsache, dass er Geschäftsführer des Vereins Dignitas ist – eine aktive Rolle bei diesem Ablebensfall gespielt hat.“ Minelli selbst sagt, er habe mehrere Telefonate mit der Augsburgerin geführt, könne aber nicht sagen, ob er ihr je persönlich begegnet ist. Ein Rechtshilfeersuchen an die Schweiz läuft, doch der dort unter Verdacht geratene Arzt hat seinerseits inzwischen Selbstmord begangen. Minelli sagt, dies habe nichts mit dem aktuellen Fall zu tun, vielmehr habe der Kollege an einem schweren Gehirntumor gelitten. Man habe ihn vier Tage lang „begleitet“. Auch der Augsburger Hausarzt wurde noch nicht vernommen. Zunächst wollen die Ermittler ein rechtsmedizinisches Gutachten aus München abwarten. Der Hausarzt wurde möglicherweise von seiner Patientin unter dem Vorwand, sein Attest werde für einen Heimaufenthalt benötigt, zu seinen überzogenen Angaben überredet. KLAUS WITTMANN