Debatte Online-Durchsuchung: Verdächtige Sexbomben

Das geplante Gesetz zur "Online-Durchsuchung" von Computern ist verfassungswidrig. Tagebücher und Briefe verdienen nicht weniger Schutz, nur weil sie auf Festplatte lagern.

Hat ein potenzieller "Gefährder" ein Recht auf den Schutz seiner Privatsphäre? Die verfassungsrechtliche Antwort lautet: Ja. Günther Beckstein sieht das offenbar anders. In der Bild-Zeitung mahnte er kürzlich: "Der Computer des Terroristen darf kein rechtsfreier Raum sein." Der bayerische Ministerpräsident unterstützt deshalb Schäubles Plan, Computer heimlich online durchsuchen zu lassen - und zwar "unter strikter Beachtung des Rechtsstaats", wie er sagt.

Das ist völlig paradox. Denn jeder, der die Verfassung kennt, weiß: Gerade weil der heimische Computer kein rechtsfreier Raum ist, sondern dem verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung unterliegt, darf der Staat nicht einfach so auf der Festplatte herumstöbern.

Die Rede von der "Online-Durchsuchung" vernebelt, wie intensiv der Eingriff in die Privatsphäre wirklich ist. Die zugleich unpräzise und verharmlosende Bezeichnung täuscht darüber hinweg, dass es keineswegs um die Ausforschung des Internets an sich geht: die ist längst möglich. Auch ist damit nicht die klassische Technik der Durchsuchung gemeint, die offen und punktuell erfolgt. Gemeint ist vielmehr die heimliche und dauerhafte Überwachung des gesamten in Daten gefassten Lebens eines Computernutzers.

Was sagt unser Grundgesetz dazu? Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der Online- Durchsuchung ist zunächst die Unantastbarkeit der Menschenwürde heranzuziehen. Untrennbar verknüpft mit der Anerkennung des Menschen als autonomes Subjekt ist der absolut geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlangt, dass Informationen, wie sie etwa in Tagebüchern, Liebesbriefen, Chatprotokollen und privaten Videos und Fotos enthalten sind, dem Zugriff der Behörden insgesamt entzogen bleiben. Entsprechende, auf privaten Rechnern gespeicherte Daten sind als digitale Variante gleichfalls dem absolut geschützten Bereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen.

Die verfassungsrechtlichen Konsequenzen, die sich hieraus ergeben, liegen auf der Hand: Solange der Gesetzgeber keine wirksamen Vorkehrungen gegen die Erfassung von Daten aus dem geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung anzubieten hat, ist die Online-Durchsuchung allein schon aus diesem Grunde verfassungswidrig.

Hieran ändern auch spezielle Filterprogramme nichts, wie sie Wolfgang Schäuble vorschlägt. Sie sind unbrauchbar. Terroristen könnten die Ermittler allein dadurch ins Leere laufen lassen, dass sie in jeden Anschlagsplan die Wörter "Liebe" oder "Sex" aufnehmen. Umgekehrt könnten Programme, die auf verdächtige Suchbegriffe wie "Bombe" oder "Attentat" reagieren, durch Codewörter umgangen werden. So kann das gesuchte Codewort einer Terroristengruppe ein Kosename sein, wie für manchen ein Angehöriger des anderen Geschlechts eine "Bombe" ist. Völlig paralysiert wäre das System, wenn es auf Wortschöpfungen wie "Sexbombe" stoßen würde.

Somit dürfte die Online-Durchsuchung bereits an der ersten verfassungsrechtlichen Hürde scheitern - und die kann auch durch eine Verfassungsänderung nicht beseitigt werden.

Unterstellt, dem Gesetzgeber gelänge dennoch die Quadratur des Kreises und er würde eine Regelung vorlegen, die mit dem Gebot der Unantastbarkeit der Würde des Menschen vereinbar wäre, so müsste diese aber auch den weiteren Vorgaben der Verfassung entsprechen. Dabei ist vorrangig das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) zu beachten. Zumindest dann, wenn sich der Computer in einer Wohnung befindet, würde bei der Online-Durchsuchung darauf abgezielt, Informationen aus dieser räumlich geschützten Privatsphäre zu erfassen.

Tagebücher, verfängliche Briefe oder Aktfotos verdienen aber nicht weniger Schutz, nur weil sie heute auf der Festplatte - und nicht mehr wie früher unter dem Bett verborgen - liegen.

Die Online-Durchsuchung zu präventiven Zwecken wäre mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Wohnung nur unter der Voraussetzung einer dringenden Gefahrenlage vereinbar. Das heißt, es müsste die Wahrscheinlichkeit bestehen, dass in absehbarer Zeit ein erheblicher Schaden für die öffentliche Sicherheit eintritt. Für die Terrorbekämpfung folgt aus dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe, dass der Computer eines Verdächtigen erst unmittelbar vor einem Anschlag überwacht werden darf. Das wiederum setzt Kenntnisse über Anschlagspläne des Computernutzers voraus. Diese können aber nur mit Hilfe anderer Ermittlungsmethoden wie der Observation, der Telekommunikationsüberwachung, der Verwendung von V-Leuten gewonnen worden sein. Liegen die Kenntnisse nun aber vor, wozu bedarf es zur Abwehr der "dringenden Gefahr" dann noch der Online-Durchsuchung?

So bleibt für diese Methode kein sinnvoller Anwendungsbereich. Gleichzeitig steht fest: Die Online-Durchsuchung kann als technische Überwachungsmaßnahme in Wohnräumen ausschließlich dann zum Einsatz kommen, wenn die Gefahr dringend ist. Denn bei der Einführung des Großen Lauschangriffs ist ausdrücklich klargestellt worden, dass Art. 13 Abs. 4 eine abschließende Regelung für technische Überwachungsmaßnahmen des Wohnraums darstellt. Das als Referentenentwurf verfasste BKA-Gesetz erlaubt der Behörde die Online-Schnüffelei jedoch auch zur "Verhütung von Straftaten", und setzt damit weit im Vorfeld der juristischen Kategorie der dringenden Gefahr an. Damit steht es in eindeutigem Widerspruch zu Art. 13 Abs. 4 GG.

Hinzu kommt, dass eine Formulierung wie "Verhütung von Straftaten" dem rechtsstaatlichen Bestimmungsgebot zuwiderläuft. Die umgangssprachlich harmlos klingenden Worte "zur Verhütung von Straftaten" besagen, dass es für den schwerwiegenden Grundrechtseingriff der heimlichen Computerausforschung künftig genügen soll, wenn nach polizeilicher Erfahrung auf Grund bestimmter Umstände allgemein mit der Begehung von Straftaten gerechnet wird. Schwammiger geht es nicht. Denn die vage Rede von der "Verhütung von Straftaten" definiert weder den Zeitpunkt der erwarteten Straftat, geschweige denn die Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung. Es ist eine Formulierung ohne jedes rechtsstaatlich fassbare Maß. und daher gerichtlich nicht überprüfbar.

Der von den Autoren des Referentenentwurfs angeführte Richtervorbehalt dient ohnehin nur als Feigenblatt. Hier mutiert er endgültig zur Farce, denn ein Passepartout-Gesetz, das alles und nichts impliziert, führt zur Willkür und nicht zur erforderlichen rechtsstaatlichen Eingrenzung polizeilicher Maßnahmen. So wird dem BKA die alleinige Definitionsmacht über den Einsatz seines schwersten Geschützes, der Online-Durchsuchung, verschafft werden. Der Polizeistaat lässt grüßen.

Der BKA-Gesetzentwurf ist folglich nach geltender Rechtslage eindeutig verfassungswidrig.

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