Ausgegrenzt und eingebunden

Viele junge Zuwanderer in Deutschland haben keinen Bock auf gesellschaftliche Teilhabe. Dennoch fallen sie nicht völlig durch das soziale Netz

AUS BERLIN ALKE WIERTH

„Playstation-Generation“ – so nennt ein Sozialarbeiter aus Berlin-Moabit die Jugendlichen, die er hier betreut. Einen Großteil ihrer Zeit verbringen sie mit Computerspielen oder vor dem Fernseher. Für Politik, auch für ihre eigene Lage, interessieren sie sich nicht: „Die gehen nicht mit Molotowcocktails auf die Straße und randalieren gegen den Staat.“ Dennoch ist die Stimmung hier brenzlig. In den vergangenen Nächten haben in dem ehemaligen Arbeiterbezirk, der in vielen Nachbarschaften längst Arbeitslosenbezirk ist, Autos gebrannt – Trittbrettfahrer der Krawalle in Frankreich, wie die Polizei vermutet.

Das Viertel rund um die Moabiter Beusselstraße steht in der Liste sozialer Brennpunkte, die der Berliner Sozialstrukturatlas aufzählt, auf Platz 284 von insgesamt 298. Mit über 33 Prozent ist der Ausländeranteil mehr als doppelt so hoch wie im Berliner Durchschnitt. Vor allem Türken und Araber, aber auch osteuropäische Zuwanderer leben hier, gemischt mit Deutschen, die zum größten Teil mit den gleichen sozialen Problemen zu kämpfen haben: Arbeitslosigkeit, Armut, Perspektivlosigkeit. „Hier herrscht Frust“, sagt Heike Pfeiffer, die im Beusselkiez Quartiermanagerin ist und versucht, soziale Projekte anzuregen und zu koordinieren. Erfolgserlebnisse fehlten den Jugendlichen, sie fühlten sich überflüssig. Das betrifft auch die Deutschen, aber „die Einwanderer kriegen es härter ab: sie erleben stärker das Gefühl, nicht dazuzugehören“.

Achmad ist hier geboren. Seine Familie stammt aus dem Libanon. Der 19-Jährige fühlt sich in Berlin zu Hause, aber nicht als Deutscher. Auch er verbringt viel Zeit vor dem Fernseher: im Videotext sucht er nach Jobs. Raus aus Berlin will er, der trotz unbefristeter Aufenthaltsberechtigung und Realschulabschluss keine Lehr- oder Arbeitsstelle findet. Viele seiner Freunde haben die gleiche Idee, meint er. Nach Westdeutschland wollten jene, die in Berlin geboren seien. „Die erst später gekommen sind, wollen alle zurück in die Heimat.“

In Neukölln, ebenso ein sozialer Problembezirk in Berlin, liegt der Ausländeranteil in einigen Straßenzügen bei fast 40 Prozent. Noch vor wenigen Jahren haben sich hier türkische und arabische Jugendgangs bekämpft. Seit der Invasion in Afghanistan und dem Irakkrieg fühle man sich jedoch zusammengehörig, erzählt eine andere Sozialarbeiterin. Natascha Lorang betreut im Projekt „Stattknast“ straffällige Jugendliche, die hier Fahrräder reparieren und Plakate drucken, statt ihre Strafe im Gefängnis abzusitzen. „Wir haben einige fortschrittliche Richter in Neukölln“, erzählt Lorang: Die würden Kontakt zu den Jugendlichen halten und auch soziale Einrichtungen besuchen. Im Neuköllner Jugendrechtshaus beraten Rechtsanwälte, Polizisten und Sozialarbeiter gemeinsam Jugendliche bei Problemen mit der Justiz. Dennoch, meint Lorang, empfänden sich die Jugendlichen nicht als Staatsbürger mit eigenen Rechten. „Selbst die, die eingebürgert sind“, erzählt sie, „haben kein Interesse an Politik oder am Staat. Sie leben in ihrer eigenen Subkultur.“ Viele hätten ihre Wahlbenachrichtigungen direkt in den Mülleimer geworfen.

Dass die Berliner Polizei mittlerweile in problematischen Kiezen eher mit einem Sozialarbeiter an der Seite als mit dem Schlagstock auftritt, hält der in Kreuzberg tätige Sozialpädagoge Hakan Aslan für eine erfolgreiche Strategie. Er arbeitet überwiegend mit türkischen und arabischen Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren zusammen. Gewaltprävention ist ein Hauptthema seiner Arbeit. „Die Jungen merken, dass ihnen nicht bloß strafend und autoritär begegnet wird“, meint er. Dass viele seiner Jungs über die softe Polizei heimlich lachen, weiß Aslan auch. „Ich bin von der Polizei nach Hause gefahren worden“, heiße es, wenn mal wieder einer bei etwas erwischt worden sei. Vor allem bei arabischen Jugendlichen, die anders als die aus der Türkei stammenden aufgrund ihres Flüchtlingsstatus auch bei Straffälligkeit nicht mit Abschiebung rechnen müssen, genießt die Polizei eher wenig Respekt. „Als Freund und Helfer wird sie noch lange nicht betrachtet“, meint Aslan. Aber eben auch nicht als brutale Staatsmacht, die nur Gewalt und Druck ausübe. Der ein oder andere seiner Jungen schaue zwar mit leuchtenden Augen auf die Fernsehbilder aus Frankreich. „Aber sie haben überhaupt nicht das politische Bewusstsein, um der Gesellschaft die Schuld für ihre frustrierende Lage zu geben“, sagt Hakan Aslan. Sich ausgegrenzt zu fühlen, setzt eben zunächst den Anspruch voraus, Teil der Gesellschaft zu sein. Dies ist bei vielen jungen Einwanderern wenig ausgeprägt.