Debatte um Jugendgewalt: Dumm schlägt gut

Jugendliche werden gewalttätig, wenn ihr Bildungsgrad niedrig ist und ihre Perspektiven schlecht sind. Ob sie Einwandererkinder sind, spielt keine Rolle.

Wenigstens richtig geschrieben: Gewaltbereitschaft steht in Zusammenhang mit dem Bildungsgrad Bild: dpa

Eli* hat Scheiße gebaut. Dreimal stand der 17-Jährige schon vor Gericht, dann wird er wieder erwischt. Wieder muss er in Untersuchungshaft, und dieses Mal wird er nicht mit einer Bewährungsstrafe davonkommen. Eli ist auf dem Weg in den Knast.

Seine Mutter lebt von Sozialhilfe, sein Vater wurde ermordet, als er neun Jahre alt war. Sein großer Bruder ist drogenabhängig. Eli knackt einen Kiosk, bricht in ein Kaufhaus ein, schlägt sich auf der Straße. Zur Schule geht der Junge mit den kurdischen Eltern schon längst nicht mehr.

Kriminelle Jugendliche wie Eli kommen häufig in der Polizeistatistik vor, ausländische Jugendliche sind überproportional vertreten. Aber was heißt das? Jugendgewalt sei kein Problem der ethnischen Herkunft, sondern "ein soziales, ein Unterschichtenproblem", betont Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN). Bei jungen Ausländern und bei jungen Deutschen, die in einer ähnlichen familiären und sozialen Situation aufwüchsen, sei die Gewaltrate gleich hoch. "Dort, wo ausländische Jugendliche verbesserte Bildungschancen haben, sinkt ihre Gewaltquote."

Als Beispiel verweist Pfeiffer auf Hannover und München. In Hannover ist der Anteil der türkischen Jugendlichen in den vergangenen zehn Jahren von 50 auf 30 Prozent gesunken, ihr Anteil an Realschulen und Gymnasien hingegen stark gestiegen. Das Ergebnis: "Sie treten heute deutlich seltener als Gewalttäter auf." Umgekehrt sei es in München, wo noch immer mehr als 60 Prozent der türkischen Jugendlichen an Hauptschulen unterrichtet würden. 1998 besuchten dort 18 Prozent ein Gymnasium, 2005 waren es nur noch 12,6 Prozent. "Hier steigt die Zahl der türkischstämmigen Gewalttäter", sagt Pfeiffer.

Jeder zehnte Schüler in Deutschland besucht die Hauptschule, rund eine Million sind es insgesamt. 56 Prozent von ihnen haben einen Migrationshintergrund. Wer die Hauptschule verlässt, hat schlechte Chancen auf einen Ausbildungsplatz und auf Arbeit. Jeder zweite von ihnen bekommt vorerst keine Lehrstelle.

Und das bleibt nicht ohne Folgen. Aus dieser Perspektivlosigkeit entstehe ein gesteigertes Gewaltpotenzial, sagt der Erziehungswissenschaftler Georg Hansen von der Fernuniversität Hagen. Weil es an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen fehle, hätten die Jugendlichen kaum Hoffnungen.

Eine Beobachtung, die Hansen mit der Sozialpädagogin Petra Peterich vom Albert-Schweitzer-Familienwerk in Lüneburg teilt. Sie betreut straffällig gewordene Jugendliche, sie hat auch Eli aus der Untersuchungshaft geholt. Die Abmachung mit dem Richter lautete: Wenn sich Eli bewährt, muss er nicht ins Gefängnis. Für Peterich ist Eli ein typischer Fall: "Die Jugendlichen kommen aus Armutsfamilien zu uns, viele auch direkt von der Straße", sagt sie. Die Herkunft oder die Religion sei dabei nicht relevant.

Eli wohnt nun mit vier anderen Jugendlichen bei den Peterichs zu Hause. Zusätzlich wird jeder von einem Sozialarbeiter betreut; gemeinsam suchen sie nach einer Perspektive für die Jugendlichen. Weil Eli dieses Angebot annimmt und eine Ausbildung angefangen hat, ist ihm die zweijährige Gefängnisstrafe erspart geblieben.

"Wir integrieren die Jugendlichen hier in unseren Alltag und geben ihnen eine Zukunft", sagt Peterich. Mit der Hoffnung auf einen Arbeitsplatz legten die meisten Jugendlichen ihr Gewaltverhalten schnell wieder ab. Von Erziehungscamps und geschlossenen Einrichtungen hält sie deshalb nicht viel. "In einer Einrichtung wie in dem Camp von Herrn Kannenberg werden die Jugendlichen nur wieder von der Gesellschaft isoliert." Das helfe ihnen aber nicht, später ein selbstständiges Leben zu führen.

Dass das Problem der Jugendgewalt nichts mit der Herkunft der Jugendlichen, sondern mit ihrer sozialen Lage zu tun habe, glaubt auch der Kriminologe Pfeiffer. Deshalb kritisiert er auch die Kriminalstatistik. Da die Straftaten immer in Relation zu den Bevölkerungsanteilen gesehen würden, gebe es eine Tendenz zur "Überzeichnung der Probleme". Migranten in Deutschland haben noch immer eine Sozialstruktur, die sich im Durchschnitt von der übrigen Bevölkerung merklich unterscheidet. Sie lebten öfter in Großstädten, seien jünger und häufiger männlich und kämen oftmals aus sozialen Schichten mit niedrigerem Einkommen und geringerer Bildung. Diese Merkmale erhöhten bei Ausländern ebenso wie bei Deutschen die "Delinquenzbereitschaft" und damit die Wahrscheinlichkeit, in der Kriminalstatistik aufzutauchen.

"Dass lange Jahre in Deutschland lebende Migranten sogar weniger oft Verbrechen begehen als ihre deutschen Mitbürger, kommt in der Statistik nicht vor", sagt Jürgen Mansel, Gewaltforscher an der Universität Bielefeld. Der vermeintliche Zusammenhang von Migrationshintergrund und Strafffälligkeit sei also eine Vereinfachung, die der Situtation nicht gerecht werde.

Und welchen Weg wird der junge Kurde Eli gehen? In ein paar Monaten, wenn er es geschafft hat, ein Jahr lang nicht straffällig zu werden, will er in eine eigene Wohnung ziehen. Sicherheit gibt ihm dabei, dass er den Anschluss ans Bildungssystem gefunden hat. Seine Ausbildung macht ihm Spaß, er will sie unbedingt abschließen - als Stuntman.

*Name von der Redaktion geändert

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.