Kolumne Ökosex: Skandal, Ökostrom doch super!

Warum Ökosex Entwarnung gibt, man natürlich beim Ökostrom mitdenken muss und worauf es jetzt ankommt.

Skandal um Ökostrom! Das war ein pressetechnisches Kleinspektakel. Als habe der Ökostrom seiner unehelichen Freundin ein Kind gemacht. Dieser Betrüger, der umetikettierte mit seinen Zertifikaten. Das stand auch in dieser Zeitung. Es gäbe Ökostrom, der eigentlich nur grün angestrichener Kohlestrom sei. Darauf haben wir hier in Maastricht bei Ökosex natürlich gewartet. Ich habe immerhin jahrelange Familie und Bekannte genervt, zermürbt, gefoltert, bis sie endlich zu ihm, dem Ökostrom, übergelaufen waren. Und jetzt der Schock: Muss ich heute auf Knien vor dem Scherbenhaufen meiner blauäugigen Naivität schrubben? Ist das der große Ökostromschwindel?

Mit Nichten und Neffen, sage ich. Ökosex ne regrette rien! Der Ökostrom meiner Freunde und Verwandten in Deutschland ist nach wie vor super okay. Warum? Weil diese Leute ein bisschen mitgedacht haben und wissen, von wem die Steckdose befüllt wird. Ökosex gibt deshalb Entwarnung. Was die Presse dankenswerterweise thematisiert hat, ist Folgendes. Fallbeispiel I: Ökostrom von jemandem kaufen, der nicht garantiert neue Öko-Kraftwerke mitfinanziert, ist wie Heinecken trinken. Es bringt relativ wenig. Okay, das Geld kriegt vielleicht kein Atomkonzern. Das ist gut. Das ist bei Heinecken trinken aber auch so. Beides führt allerdings leider nicht unmittelbar zur Energiewende.

Fallbeispiel II: Ökostrom kaufen von Konzernen oder deren Tochterunternehmen, die massenweise Kohlekraftwerke bauen und Atome verlängern wollen. Das ist nun ein bisschen so, als ob man dem Vattenfall-Chef das Benzin für den Dienstwagen spendiert. Das würde ich nicht machen, weil der Dienstwagen vom Vattenfall-Chef zum einen zu viel CO2 ausstößt. Zum anderen gilt die alte Ökosex Faustregel: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als die deutschen Energiekonzerne freiwillig raus aus Kohle und Atom. Ergo: Jeder Euro an einen Atom- und Kohlebaron ist ein Schuss ins eigene Knie. Vorausgesetzt man ist gegen Atomkraft und für Klimaschutz. Wenn man für Atomkraft und gegen Klimaschutz ist, sollte man allerdings seinen Ökostrom unbedingt bei Vattenfall, Eon, EnBW oder RWE kaufen.

Das ist das Wunderbare an der Ökostromschwindel-Berichterstattung. Jetzt ist noch klarer, welches Ökostromangebot für wen das richtige ist. Ja, natürlich wäre das einfacher, wenn es ein verlässliches Siegel geben würde. Aber ein bisschen mitdenken, das gehört zur solaren Effizienzrevolution eigentlich dazu, und es gibt ja auch Hilfe (atomausstieg-selber-machen.de). Vielleicht gibt es bald mehr Klarheit, ob diese RECS-Zertifikate für Ökostrom nun eigentlich okay (Öko-Institut) oder eine Mogelpackung (Greenpeace) sind. Jetzt die gute Nachricht. Das Ökostromgedöns ist gar nicht so relevant. Das klingt vielleicht jetzt ein bisschen merkwürdig, aber der Bezug von Ökostrom ist ja Gott sei Dank nicht der entscheidende Punkt für den Ausbau der erneuerbaren Energien in einem Land. Obwohl in Deutschland lange Zeit kaum jemand Ökostrom bezog, wuchs die Produktion rasant. Diese Woche große Feier bei Ökosex mit Schampus: 14,3 Prozent Anteil der Erneuerbaren im deutschen Stromsektor. Das verdanken wir dem Erneuerbaren Energien Gesetz (EEG). Jeder darf verlässlich einspeisen und kriegt eine entsprechende Vergütung. Zum Vergleich: In den Niederlanden haben schon über 30 Prozent der Haushalte grünen Strom, wobei allerdings ein großer Teil im Ausland dazugekauft werden muss. Der Ausbau der Erneuerbaren kommt nämlich nicht nach.

Warum? Meinen Ökostrom produziere ich in Baden-Württemberg und nicht in Maastricht. Das war eine Frage des Investitionsklimas. Sie leben im EEG-Paradies Deutschland? Sie sind noch kein Ökostromproduzent? Das ist der wahre Ökostromskandal!

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.