Erziehung: Vom Rüpel zum Risikoschüler

Die Zahl verhaltensauffälliger und schulunfähiger Kita-Kinder steigt seit dem Wegfall der Vorschulklassen an, sagen Experten.

Noch gucken sie lieb... Bild: dpa

Kinderpsychologen und Schulärzte warnen vor einer Welle von Problemen mit sozial gestörten Schülern. "Im letzten Schuljahr gab es doppelt so viele Lernanfänger mit extremen Verhaltensauffälligkeiten wie in den vergangen Jahren", sagte am Mittwoch Wilfried Krepper vom Schulpsychologischen Dienst in Reinickendorf. "Wenn wir die Probleme dieser Risikogruppe nicht in den Griff bekommen, ist zu befürchten, dass sie sich später massiv auswirken werden." Die Ursache für die wachsende Zahl von Risikoschülern sieht Krepper vor allem in der Reform des Schulanfangs.

Mit Einführung der flexiblen Schuleingangsphase vor zwei Jahren werden Kinder - bis auf Ausnahmen - ab fünfeinhalb Jahren eingeschult. Die Vorschulklassen wurden abgeschafft, Kinder sollen individuell gefördert werden. Auf einer Konferenz des Bezirksamtes Reinickendorf trafen sich Psychologen und Pädagogen aus ganz Berlin, um erste Ergebnisse der Reform zu analysieren.

"Die Realisierung hält mit den bildungspolitischen Intentionen nicht Schritt", so Krepper. Vergangenes Jahr sei 128 Reinickendorfer Vorschulkindern zusätzlicher Förderbedarf bescheinigt worden, in den Jahren zuvor seien höchsten 60 Anträge eingegangen. "Wir sind nicht gegen die flexible Schulanfangsphase, wir plädieren aber dafür, sie entsprechend auszustatten." Im Klartext: mehr Personal, mehr Fortbildungen. Denn auch vielen Lehrern blieben neue Ideen wie offener Unterricht und individuelle Förderung fremd, so Krepper. Nötig sei auch, dass Kinder bei Bedarf wieder zurückgestellt werden könnten.

In Reinickendorf habe im laufenden Schuljahr jeder dritte Schulanfänger Auffälligkeiten gezeigt: Die Kinder könnten entweder Sätze nicht richtig nachsprechen, seien motorisch unbeholfen oder sozial gestört. Besonders betroffen seien Kinder aus der sogenannten unteren sozialen Schicht: Über die Hälfte brauche besonderen Förderbedarf. "Das sind Kinder, bei denen wir nicht wissen, wo wir sie einschulen sollen", sagte die Leiterin des bezirklichen Jugendgesundheitsdienstes, Karin Lietz. Auch sie nimmt zunehmende Probleme war und führt diese auf die frühe Einschulung und den Wegfall der Vorklassen zurück.

Wenn die Kinder zu ihm kämen, sei es oft zu spät, sagte Oliver Bilke, Leiter der Jugendpsychiatrischen Abteilung bei den Vivantes Kliniken. Es sei daher nötig, Kinder schon im Kindergartenalter auf Störungen zu untersuchen. "Mit frühen Investitionen kann man viele Probleme verhindern." ANNA LEHMANN

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