die wahrheit: Flucht nach Asch

Helmut Schmidts Aschenbecher muss nach der Verhaftung des Altkanzlers türmen.

In besseren Zeiten wurde der Bauch des Aschenbechers unablässig mit Überresten feiner Marken gefüllt. Bild: ap

Helmut Schmidt öffnete die Haustür und blinzelte skeptisch in das Gewölk, das grau und tropfenschwer von der Elbe herüberwogte. Es würde Regen geben und einen Scheißtag. "Es gibt in Deutschland nur noch Scheißtage", murmelte der Altkanzler, "dass es je wieder so weit kommen konnte ..." Er schüttelte traurig den Kopf. Wehner sagte nichts, er qualmte nachdenklich vor sich hin.

Das Original hatte auch wenig gesprochen, und wenn doch, dann eher geraunzt. Wehner zwo redete nie, was Helmut Schmidt nicht wunderte. Schließlich war er nur ein Aschenbecher, ein veritabler Trumm aus Muranoglas, den ihm dieser Mafioso aus Rom, Andreotti, mal verehrt hatte. Aber mit neunzig ist man froh über jeden Freund, der nicht unter der Grasnarbe wohnt.

Der Altkanzler hielt den treuen Gefährten ins fahle Morgenlicht: "Für die Zeit-Fritzen ist das alles kein Thema", räsonierte er fort. "Die kleben sich da jetzt alle Nikotinpflaster unter die Füße. Solche Pflaumen hätten wir in den guten alten Tagen zum Frühstück verspeist. Stimmts?" Wehner zwo schwieg beharrlich. "Stimmt!", sagte der Altkanzler.

Diese Republik war ein einziger unfroher und unerfreulicher Sauhaufen. Schmidt bekam prompt einen Hustenanfall. Er lehnte seinen Gehstock an den Türrahmen und zündete sich eine neue Zigarette an. Als nur noch der Filter übrig war, drückte er die Kippe in Wehners bauchiger Rundung aus, krümmte seinen Buckel, auf dem bekanntlich schon Helmut Kohl und die Friedensbewegung heruntergeruscht waren und stellte den Ascher behutsam neben die Fußmatte. "Machs gut, alter Freund", Helmut Schmidt legte zwei Finger an die Schirmmütze und schloss die Tür. Wehner lauschte. Aus dem Klavierzimmer wehte Chopins Trauermarsch in b-Moll. Eine Stunde später führten sie den Altkanzler ab. Drei Monate Fuhlsbüttel ohne Bewährung wegen öffentlichen Rauchens.

Die Aschenbecher kamen nicht so glimpflich davon. Unter einen Hibiskus gekauert, beobachtete Wehner, wie man sie aus dem Schmidtschen Heim zerrte und auf Lastwagen lud. Drei zarte Meißner Porzellanaschenbecher; Gorki, die wuchtige Handschmiedearbeit aus Georgien; und acht weitere Kameraden aus Bakelit, Marmor und Glas. Fünfzehn Untertassen der Marke Seltmann Weiden wurde gleich an Ort und Stelle das Rückgrat zerbrochen. Ole von Beusts Häscher vergaßen niemanden.

Wehner wusste, was den Genossen blühte. Man würde sie in die Werkhöfe schleppen, sie mit Hämmern und Pressen traktieren, in Öfen und Säurewannen werfen und nicht eher Ruhe geben, bis ihre geschundenen Körper im Abfall landeten oder zu wiederverwendbarem Rohstoff zermahlen waren. Es gab selbstverständlich auch Ascher, die Glück und Beziehungen hatten. Man sah sie vor Bahnhöfen, Büros und Wirtshäusern um ein paar verkohlte Tabakkrümel betteln. So tief wollte Wehner nicht sinken. Auf seiner Unterseite klebte die Adresse eines Kettenrauchers in Plauen, der ihn über die tschechische Grenze bringen würde. Aber Plauen war weit, und Ascher lebten gefährlich in diesen Zeiten.

Hinter Harburg stand die erste Straßensperre. Es war ein Bild des Jammers. Volle Aschenbecher wurden aus den Karossen gerissen, und die Fahrer bekamen Hiebe. Wehner konnte sich mit einem Sprung in den Straßengraben retten. Seitdem marschierte er nur noch nachts. Die Tage verdämmerte er auf Mülldeponien, zwischen Tampons, Schnapsflaschen und verängstigten Artgenossen. Sie erzählten alle dieselbe traurige Geschichte von Verfolgung, Folter und Tod.

Wehner schlug sich nach Uelzen durch. Hier fand er Unterschlupf in der "Grill-Boutique", wo man ihn gegen Kost und Logis als Urinal beschäftigte. Doch die Harnsäure brachte ihn fast um. In Kassel verdingte er sich als Blumenkübel, in Bayreuth verschaffte ihm ein Rauchmelder kleine Rollen im Festspielhaus. Das ging gut, bis seine einfühlsame Darstellung von Alberichs Tarnkappe die Aufmerksamkeit des Feuilletons erregte. Als Wehners Bild in der Zeitung erschien, denunzierte ihn ein grüner Stadtverordneter bei "Pro Rauchfrei" in Wiesbaden. Seine Rettung waren zwei Wasserpfeifen mit Migrationshintergrund, die ihn noch am selben Abend nach Plauen schleusten.

Wehner verbarg sich bis zum Einbruch der Dunkelheit in den Ruinen eines ausgebrannten Tabakladens. Dann klopfte er an die Tür des Kettenrauchers. Der öffnete erst mal ein Bier und füllte Wehners Bauch mit einer Packung Gauloises. Wehner rülpste wohlig, ehe er zum ersten Mal seit Wochen in einen tiefen Schlaf fiel.

Schon am nächsten Mittag blickte er vom Hainberg hinunter auf das böhmische Städtchen Asch, die Perle des sogenannten "Ascher Zipfels". "Da bist du willkommen", sagte der Kettenraucher. Und er hatte recht. Kaum angekommen, fand Wehner Arbeit in einem Gasthaus, wo das Bier in Strömen floss und die Stumpen qualmten, dass die Schwarte krachte.

Drei Tage später pinnte Helmut Schmidt eine Ansichtskarte an seine Zellenwand. Die Vorderseite zeigte einen vollen Aschenbecher, auf der Rückseite stand nur ein Satz: "Wo man raucht, kannst du ruhig harren, / böse Menschen haben nie Zigarren."

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