Hoffnungslos romantisch

POP Bei Prag spielt mit der Schauspielerin Nora Tschirner auch ein bekanntes Gesicht mit – was das Berliner Trio aber keineswegs in den Mittelpunkt rücken will. Jetzt ist das Debütalbum erschienen

VON THOMAS WINKLER

Es ist ja nicht immer einfach, ein bekanntes Gesicht mit sich herumzutragen. Das Gesicht von Nora Tschirner ist ziemlich bekannt, vor allem seit sie es einem gewissen Til Schweiger geliehen hat, der damit ein Paar sehr erfolgreiche Kinohits verzieren durfte. Wenn man also die ist, die eher trüben Komödien wie „Keinohrhasen“ und „Zweiohrküken“ den bitter nötigen Hauch Charme verschafft hat, dann ist es überhaupt nicht einfach. Vor allem, wenn man mal was ganz anderes machen möchte.

Musik zum Beispiel. Und genau das versucht Nora Tschirner nun. Prag heißt die Band, in der sie mitspielt. Die Betonung liegt auf „mit“. Das ist wichtig. Denn Prag soll auf keinen Fall die Band von Nora Tschirner sein, sondern nur die Band mit Nora Tschirner.

In der öffentlichen Wahrnehmung ist das natürlich anders. Die Bild-Zeitung titelt „Singen kann sie auch!“, und auch seriösere Medien rücken vor allem die Tatsache in den Vordergrund, dass sich wieder einmal eine bekannte Schauspielerin als Sängerin versucht. Dieser mediale Reflex entpuppt sich schnell als Vorurteil. Spätestens wenn man „Premiere“, das Debütalbum von Prag, gehört hat, ist zu konstatieren: Prag sind garantiert nicht Nora Tschirners Band. Sondern: Prag sind eine ziemlich großartige Popband, die geschmackvoll und mit großer Liebe zum Detail in die Vergangenheit blickt, bei der Nora Tschirner aber nur eine überschaubare Rolle einnimmt.

Gemeinsame Tage im Chor

Das ist auch kein Wunder. Schließlich hatten Erik Lautenschläger und Tom Krimi, der Rest von Prag, den Großteil des Songmaterials längst geschrieben, als Tschirner die Band zum Trio komplettierte. Zwar kennt die Schauspielerin Lautenschläger schon seit gemeinsamen Tagen im Chor der Rosa-Luxemburg-Oberschule in Pankow und hat auch Kurse in der Musikschule des Bezirks belegt, den Traum aber, als Popmusikerin zu reüssieren, den hatte die 31-Jährige eigentlich zu den Akten gelegt.

Nicht dass es an Angeboten gefehlt hätte. Immer wieder kamen Anfragen großer Plattenfirmen, die das bekannte Gesicht zum Popstar aufbauen wollten. Aber genau das wollte Tschirner nicht. Folgerichtig wird sie auf „Premiere“ auch nicht in den Mittelpunkt gestellt. Sie spielt Gitarre, auch mal Triangel, Xylofon oder sogar Mundharmonika, und übernimmt bei einigen der 14 Lieder den Backgroundgesang. Bei „Bis einer geht“ singt Tschirner im Duett mit Lautenschläger, aber nur in zwei Liedern, „Einkauf“ und „Warten“, geht sie gesanglich allein voran.

Nein, ganz eindeutig: Das ist nicht Nora Tschirners Band. Die Songs schreibt vor allem der 38-jährige Lautenschläger, Ausarbeitung und Arrangements gestalten er und der neun Jahre ältere Krimi. Dabei sind ihnen einige wundervolle Pop-Perlen in nostalgischem Cinemascope-Sound gelungen: hoffnungslos romantisch in den Texten, die stets und ausschließlich von der Liebe handeln, und retrospektiv im Klangbild, das sich an den goldenen Zeiten von Chanson und auch Schlager orientiert und unter der Leitung von Produzent Guy Sternberg im Lowswing-Studio in Prenzlauer Berg entstand. Dort erhielten schon Maximilian Hecker und 2raumwohnung einen opulenten Sound.

Dass manches Lied auch an die luxuriösen Soundtracks der späten Siebziger und frühen Achtziger Jahre erinnert, dafür ist nicht allein die erste Single, „Sophie Marceau“, eine Huldigung an den „La Boum“-Star, verantwortlich, sondern vor allem das Tschechische Filmorchester. Dessen an einem einzigen Tag in Prag eingespielte Streicher- und Bläserbeiträge veredeln die Lieder, die sonst vielleicht als gefälliger Indie-Pop verenden würden, zu mondänen Epen, denen die große Geste ganz hervorragend steht. Musik, die sanft, aber doch üppig klingt – und deshalb mächtig aus jener Nische herausdrängt, in der sich ihre Urheber bislang aufgehalten haben.

Lautenschläger und Krimi sind schon lange im Geschäft, der eine zuletzt mit der Band Erik & Me, der andere vor allem als eine Hälfte des DJ- und Produzentenduos Stereo De Luxe. Die Karrieren der beiden wurden von der Kritik mit Wohlwollen begleitet, der ganz große Erfolg aber blieb bislang aus.

Zuarbeiterrolle in der Band

Nun haben Lautenschläger und Krimi nicht nur die Musik, sondern auch dank Tschirner die mediale Aufmerksamkeit für den kommerziellen Durchbruch. Und stehen damit vor einem Dilemma. Sosehr sie sich auch mühen, nicht als Tschirners Band wahrgenommen zu werden, lässt es sich doch kaum verhindern, dass bei vielen das bekannte Gesicht ein erstes Interesse wecken wird. Dass dieses Interesse nicht befriedigt wird und Prag kein Geheimnis daraus machen, dass Tschirner nur die Zuarbeiteraufgabe in der Band zukommt, das könnte auch leicht zur Produktenttäuschung führen. Die Lieder von Prag aber, die hätten das nicht verdient.

■ Prag: „Premiere“ (Tynska Records/Tonpool)