: Kaltgestellt
Eigentlich wäre er ein Kandidat für Nils Schmid. Marco Wehner war einer der besten Frankfurter Steuerfahnder, seine Arbeit hat Millionen Euro in die Staatskasse gespült. Insbesondere hatten er und seine Frankfurter Kollegen die Banken im Visier. Heute arbeitet er als Fahrlehrer in Fulda, zwangspsychiatrisiert und zwangspensioniert mit 39 Jahren
von Susanne Stiefel
In der Nacht wird er wieder mal schlecht schlafen. Das weiß Marco Wehner schon an diesem Januarnachmittag im Café Coyote in Fulda. Denn das ist immer so, wenn er darüber spricht, wie ihn ein ärztliches Gutachten für verrückt erklärte und aus seinem Leben und seinem Beruf warf. Fünf Jahre arbeitete er als Steuerfahnder, er war einer der Besten im Frankfurter Finanzamt V, er gehörte zu der Truppe, die Banken und Steuerbetrüger das Fürchten lehrte. Al Capone war das Beispiel, das sie motivierte und am Laufen hielt: Dass ein Verbrecher gefasst wurde, weil er seine Steuern nicht bezahlt hatte – für Marco Wehner war das die Bestätigung, dass Gerechtigkeit letztendlich siegt, und sei es über Umwege. Daran zweifelt er heute. Heute arbeitet der Steuerfahnder als Fahrlehrer in Fulda, gleich gegenüber vom Café Cojote.
Albträume hin oder her – Marco Wehner muss reden. „Die Öffentlichkeit hat ein Recht zu erfahren, was passiert ist“, sagt der Mann mit der verdächtig ruhigen Stimme und nippt an seinem Kaffee. Der 42-Jährige bekommt seit 2009 vom Staat lebenslänglich Geld dafür, dass er nicht arbeitet – obwohl er das gerne tun würde. Zwangspensionierung nennt sich das. Als Steuerfahnder hat er außerdem jährlich eine Million Euro aufgespürt, Geld, das dem Staat nun verloren geht. „Das ist eine irrsinnige Verschwendung von Steuergeldern“, sagt er, mit Gerechtigkeit habe das nichts zu tun, schon gar nicht mit Steuergerechtigkeit. Also redet Marco Wehner. Er redet auch um sein Leben.
Hört sich an wie ein Krimi, wenn ein Steuerfahnder erzählt
Marco Wehner gehörte zur erfolgreichsten Steuerfahndungsgruppe Deutschlands, die am Finanzplatz Frankfurt Steuerhinterziehung der Banken aufdecken und verfolgen sollte. Deren Chef war Frank Wehrheim, im Team war auch Rudolf Schmenger, zugearbeitet haben Tina und Heiko Feser. Sie alle wurden später aus ihrem Job gedrängt. Marco Wehner war mit dabei, als Mitte der 90er-Jahre Zehntausende von Steuerhinterziehungsfällen auf ihrem Tisch landeten, viele davon bei der Commerzbank. Er war dabei, als Steuerfahnder wegen illegaler Parteispenden und Steuerhinterziehung gegen Walter Leisler Kiep, den ehemaligen Schatzmeister der CDU, ermittelten. „Wir waren am Schluss eine 15-köpfige Gruppe mit Fahndern, EDV-Spezialisten, Rechtsexperten. Und wir haben sogar aus eigener Tasche einen Scanner bezahlt, als wir einmal Leitzordner zugespielt bekamen“, erzählt er. Die Motivation war hoch, sie verstanden sich als Staatsdiener, die für Geld in den Kassen sorgen. Sie wurden gefeiert, vom Dienstherrn gelobt. Sie arbeiteten selbstständig. Manchen zu selbstständig.
Es hört sich an wie ein Krimi, wenn Marco Wehner im Café in Fulda von seinen Erfolgen berichtet. Begeistert ist er mit dabei, erlebt das Hochgefühl noch einmal, als die Commerzbank rund 300 Millionen D-Mark Steuern und etwa 120 Millionen D-Mark Verzugszinsen nachzahlen musste – alles Steuergelder, welche die Fahnder durch ihre Arbeit erwirtschaftet hatten.
1999 gewinnt die CDU mit Roland Koch die Landtagswahlen. Und ein ministerieller Erlass stoppte die erfolgreiche Fahndungstruppe. Eine Strukturänderung zerschlägt das eingespielte Team zwei Jahre später, die Fahnder wehren sich, schreiben Briefe – und Marco Wehner und drei seiner protestierenden Kollegen werden aus dem Beruf gedrängt.
Und was passierte mit den Akten, die bei vielen Banken beschlagnahmt worden waren? Bleiben liegen. Die Auswertung, so die offizielle Erklärung, hätte dem Staat nur 208 Euro pro Fall gebracht. „Über diese Rechnung hat sich die ganze Republik totgelacht“, erzählt Marco Wehner. Bei den Liechtenstein-Fällen, weiß der Exfahnder, ging es meist um Millionenbeträge. Zerschlagung und Psychiatrisierung also als Rache für unerschrockenes, konsequentes Fahnden?
Marco Wehner holt Luft und lehnt sich zurück. „Heute macht mein Sohn eine Lehre bei der Commerzbank“, sagt der Mann, der diese Bank einst das Fürchten lehrte, und ein fast unsichtbares Lächeln umspielt seine Mundwinkel. Er freut sich darüber, dass seine Familie heute wieder festen Boden unter den Füßen hat. Denn was nach 2001 einsetzte, hat persönlich und in seiner Familie Narben hinterlassen.
Der versierte Fahnder wird 2004 in den Innendienst versetzt, „Buchstaben M bis N, Routinearbeit“, sagt er. Seine Stelle, angeblich gestrichen, wurde wieder ausgeschrieben. Die Kollegen reden nicht mehr mit ihm, den Vorgesetzten kann er nichts recht machen, Marco Wehner wird gemobbt. Er wird krank, bekommt Kopfweh, fühlt sich matt. Dass seine Frau ihn in dieser Zeit aus- und zu ihm gehalten hat, wundert ihn noch heute. Er nimmt zwei Jahre Auszeit, Elternzeit, kümmert sich um seine kleine Tochter, macht nebenher den Fahrlehrer, „damit ich was zu tun hatte und nicht nur grübelte“.
Nach kurzer Untersuchung dauerhaft aufs Abstellgleis
Doch als er nach zwei Jahren an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt, geht es noch schlimmer weiter. Marco Wehner muss sich vom Psychiater beim hessischen Versorgungsamt untersuchen lassen. Nach schneller, einstündiger Untersuchung ist dem klar: Der Mann ist unheilbar psychisch krank, leidet unter Anpassungsstörungen und ist deshalb dauerhaft dienstunfähig. Seit dem 1. Oktober 2007 ist Marco Wehner ein aufs Abstellgleis geschobener Exsteuerfahnder. „Was da passiert ist, hat nichts mit rechtsstaatlichen Prinzipien zu tun“, sagt er.
Im September stehen Bundestagswahlen an und Landtagswahlen in Hessen. Und plötzlich geschieht etwas Sonderbares. Vor wenigen Tagen bekam Marco Wehner Post vom hessischen Finanzministerium. Die Reaktivierung der zwangspensionierten Steuerbeamten Schmenger, Wehner und Feser solle geprüft werden: „Was die Frage der grundsätzlichen Dienstfähigkeit angeht, gehe ich von den aktuellen Feststellungen des Gutachtens aus und halte daher eine weitere ärztliche Untersuchung für nicht erforderlich“, ist in dem Schreiben zu lesen Datum: 21. Januar 2013.
Keine Reaktivierung ohne Rehabilitierung
Das liest sich wie eine Demutsgeste, doch bei Marco Wehner kommt kein Jubel auf: „Das gab es schon einmal“, sagt er, „aber auf einen Brief unserer Anwälte hat man damals nicht einmal geantwortet.“ Schmenger, Wehner und die Fesers werden sich beraten, wie sie auf dieses neue Angebot reagieren werden. Doch für Wehner muss vor der Reaktivierung eine Rehabilitierung stehen. Schließlich wurden sein Ruf, sein Name und seine Zurechnungsfähigkeit in Zweifel gezogen. Das muss aus der Welt. Gerechtigkeit scheint in Wahlkampfzeiten wieder ein Thema zu sein. Sie taugt aber auch gut als Feigenblatt.
Auch SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat kurz vor der Niedersachsenwahl am 20. Januar Steuergerechtigkeit wiederentdeckt. 150 Milliarden, so seine Rechnung, gingen dem Staat durch Hinterziehung verloren. Deshalb sagte er der Steuerkriminalität den Kampf an und verspricht im Falle eines Wahlsiegs eine Verlängerung der Verjährungsfristen und mehr Stellen in den Finanzbehörden. „Peer Steinbrück war auch schon mal für die Kontrolle der WestLB verantwortlich“, gibt Marco Wehner zu bedenken, „mancher trägt bei Bedarf jedes Trikot.“
Für mehr Stellen in der Steuerfahndung hat sich die baden-württembergische SPD schon länger starkgemacht und dies bereits 2011 im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Als Peer Steinbrück jüngst mit seiner Braunschweiger Erklärung lospreschte, ergänzte Finanzminister Nils Schmid schnell: Bis 2015 sollen in Baden-Württemberg 500 neue Stellen und 500 Ausbildungsplätze geschaffen werden. Derzeit schauen in Baden-Württemberg 1.858 Betriebsprüfer und 314 Steuerfahnder nach versteckten Geldern. Im Jahr 2011 haben sie 354 Millionen Euro eingespielt. Und wenn es mehr werden, ist man im Ministerium von Nils Schmid nicht traurig. Vielleicht könnte Marco Wehner helfen?
Der klagt derweil gegen das Land Hessen und den von diesem bestellten Gutachter, der Marco Wehner dauerhafte Dienstunfähigkeit bescheinigt, ihn und seine drei Kollegen für verrückt erklärt hatte. Ein Gegengutachten des renommierten Leiters der Münchner Klinik für Forensische Psychiatrie, Prof. Dr. Norbert Nedopil, das der Kontext-Wochenzeitung vorliegt, kommt zu einem anderen Ergebnis. „Die … diagnostizierte Anpassungsstörung ließ sich aus der Aktenlage und auch aus seinem Befund nicht belegen.“ Dieses Gutachten ist die Grundlage des Prozesses vor dem Frankfurter Landgericht, bei dem Marco Wehner und seine Mitstreiter auf Schadenersatz klagen. Der Prozess soll Anfang März eröffnet werden, die Chancen der Exsteuerfahnder stehen nicht schlecht.
Heute arbeitet Marco Wehner nicht nur als Fahrlehrer. Er unterstützt auch seine Kollegen Wehrheim und Schmenger, die 2009 mit dem Whistleblower-Preis geehrt wurden und nun auf der anderen Seite arbeiten: als Steuerberater. Die Erfahrung und das Wissen dieser Top-Fahnder könnte der baden-württembergische Finanzminister Nils Schmid gut gebrauchen, um seinem Bestreben nach Steuergerechtigkeit Nachdruck zu verleihen. Vielleicht zieht das baden-württembergische Finanzministerium die hessischen Exkollegen ja demnächst mit einem Angebot wieder auf die staatliche Seite. Bisher ist von der Pressestelle dazu nur die kryptische Aussage zu erhalten: „Auskunft in Personalfragen kann nicht erteilt werden.“