25 Jahre Hiphop-Film "Wild Style": "Die anarchische Schönheit von Graffiti"

Charlie Ahearns "Wild Style" war der erste Film über Hiphop. Jetzt erscheint das Buch dazu. Ein Gespräch über Graffiti, Guerilla-Filmen und grantige Kinobesitzer.

"Wascht das nicht ab!", Szene aus "Wild Style". Bild: power house

taz: Herr Ahearn, als Sie 1982 den Film "Wild Style" herausbrachten, war es der erste Film über Hiphop, der in die US-amerikanischen Kinos kam. Sie haben sich ein Vierteljahrhundert Zeit gelassen, um dem Film jetzt das Buch "Wild Style The Sampler" nachzuschieben. Warum?

Charlie Ahearn: Mein Film ist dutzendfach von Rappern und visuellen Künstlern zitiert worden: Unter anderem Nas, die Beastie Boys, Cypress Hill, Mos Def und Talib Kweli haben den Soundtrack gesamplet. Und der Street-Art-Künstler Banksy hat sogar eine lebende Kuh mit dem Wild-Style-Logo bemalt. Dieser Prozess hat den Film bei allem Wachstum von Hiphop relevant gehalten. Andererseits sind eine Menge Mythen über seine Entstehung im Umlauf: Damit wollte ich aufräumen. Und auch die letzten Fragen beantworten: etwa nach dem Casting, der Finanzierung und dem Making of.

... war 1982 der erste Film, der die noch junge Hiphop-Revolution in die Welt hinaustrug. Mit Fab 5 Freddy, der Rock Steady Crew, den Cold Crush Brothers und Grandmaster Flash spielten die größten Stars der jungen Szene mit. Der Soundtrack wurde zum Klassiker. Auf seiner Deutschlandtournee präsentiert der Filmregisseur seinen Film, liest aus der neuen Foto- und Essaysammlung "Wild Style The Sampler" (Powerhouse Cultural Entertainment. 212 S., 27 Euro) und übergibt das Mikrofon im Anschluss an Rap-Legende Busy Bee. Wild Style Tour: 20. 2. Nürnberg, 21. 2. Kiel, 23. 2. Köln

"Wild Style" besteht aus einer Mischung fiktionaler und dokumentarischer Momente. Im Buch zeigen Sie noch einmal die Abbildungen von Graffiti, Flyern und Vor-Ort-Szenen. Hat das heute noch Relevanz?

Mir geht es darum, auch einer Generation, die erst nach dem Film geboren wurde, die Ursprünge des Hiphop nahezubringen. Mag sein, dass "Wild Style" in manchen der Dialoge ein wenig steif und dilettantisch wirkt: Aber wer weiß noch, wie spontan dieser Film zustande kam? Eines Tages folgte ich mit meinem Bekannten Fab 5 Freddy in einen Park in der North Bronx den Bässen eines Soundsystems. Wir hörten Bruchstücke von James-Brown-Songs und Sprechgesang. Schließlich erreichten wir eine Art Amphitheater: Ein DJ stand auf der Bühne und mit ihm der Rapper Busy Bee. Später gestand er mir, ihm sei der Angstschweiß ausgebrochen, weil er mich für einen Undercovercop hielt. Als ich ihm erklärte, ich sei Filmemacher, holte er mich auf die Bühne: "Das ist mein Filmproduzent" rief er der verblüfften Menge zu. "Und wir machen zusammen einen Film über die Rapszene." Das war mein erster Eindruck von Hiphop. Und anschließend kamen alle auf die Bühne, um sich mir vorzustellen.

Sie kamen von außen in die Szene, trotzdem hat "Wild Style" das Selbstverständnis von Hiphop beeinflusst. Würden Sie den Film heute genauso drehen?

Wir waren damals sehr naiv. Wir sind mit Sprühern wie Dondi in die U-Bahn-Depots gegangen, wir haben das Ganze als Spiel genommen und überhaupt nicht daran gedacht, eine ernsthafte Dokumentation zu machen. Ich hatte vorher mit Jugendlichen aus der Bronx einen billigen Kung-Fu-Film gedreht. Genauso sahen wir "Wild Style": Es sollte Spaß machen, den Protagonisten ihre drei Minuten Ruhm sichern, aber niemanden belehren. Erst im Nachhinein, als wir merkten, wie viel der ursprünglichen Hiphopkultur für immer verschwinden würde, bekam der Film eine andere Bedeutung.

Anfang 1980 begann ich mit Hilfe des Sprayers Lee Quinones - er spielt im Film als Zorro die Hauptfigur - in diese Kultur einzutauchen. Woche für Woche sahen wir dutzende frisch besprühter Waggons vorbeifahren. Kaum jemand hat diese Kunstwerke dokumentiert. Schon ein paar Jahre später fiel die anarchische Schönheit der Graffiti den chemischen Waschanlagen zum Opfer - kein besprühter Zug wurde mehr aus dem Depot gelassen. Da bedauerte ich, welche Chance ich verpasst hatte. Besonders beeindruckte mich ein Graffiti mit gereckten Fäusten und dem Spruch "Wascht das nicht ab! Stoppt die Zerstörung der U-Bahnen!" Für mich einer der größten Momente der Kunstgeschichte. Vieles, was heute selbstverständlich wirkt, hatte damals noch Schock-Charakter.

Hiphop hat eine sehr machtvolle Bildsprache entwickelt, die in alle möglichen kulturellen Felder ausstrahlt. Was halten Sie von Hiphop-beeinflussten Hollywood-Produktionen?

In den späten Achtzigerjahren fing die Filmindustrie an, Hiphopstars wie LL Cool J oder Queen Latifah als Schauspieler einzusetzen: Das war ein einfacher Weg, deren Publikum zu erreichen. Aber sind sie deswegen schon Hiphop? Nur zwei Filme haben mich begeistert: Das semidokumentarisch anmutende "8 Mile" mit Eminem. Und "Wholetrain", ein deutscher Film von 2006, der einzige Graffiti-Film der in die Fußstapfen von "Wild Style" treten kann.

Ein Film, der auch die Diskussion um den künstlerischen Wert von Graffiti neu entfacht hat.

Vandalismusvorwürfe habe ich oft genug gehört. Als "Wild Style" 1983 am Times Square gezeigt wurde, klingelte mich ein Kinobesitzer um drei Uhr nachts aus dem Bett, weil sein Filmsaal nach einer Vorführung mit Tags und Graffiti übersät war - er wollte nicht begreifen, dass ich bloß der Filmregisseur bin. Aus dem selben Grund bekam ich in Amerika keine offiziellen Fördergelder. Erst die Beteiligung des Kleinen Fernsehspiels des ZDF und des britischen Channel 5 konnten die Finanzierung des Films sichern

"Wild Style" hatte zum ersten mal Graffiti, Breakdancing, DJing und Rap zu einer gemeinsamen Bewegung stilisiert

Vorher gab es nur lose Überschneidungen. Aber mein Mitregisseur Fab 5 Freddy hatte diese damals radikale Vision von Hiphop als einer vereinigten Front: mit der visuellen Komponente des Graffiti. Der Musik der DJs. Dem Tanz der B-Boys und dem MCing oder Rappen als rhythmische und lyrische Kunstform, die sich in der Bronx entwickelt hatte. Der Film forcierte deren Gemeinsamkeiten: Eigentlich war etwa Breakdancing zu der Zeit längst passé. Erst nach Veröffentlichung von "Wild Style" habe ich jemals B-Boys bei einem Hiphopkonzert tanzen gesehen.

Wie sehen Sie Hiphop heute?

"Wild Style" hat ausdrücklich in seiner Hauptfigur Zorro alias Lee Quinones den Konflikt thematisiert, im dem Hiphop sich bis heute befindet: Hier die Anforderungen der kommerziellen Welt, dort der Selbstausdruck der Straße. Die Sugar Hill Gang hatte schon 1981 mit "Rappers Delight" den Weg vorgezeichnet: dass Menschen, die nicht Teil der Kultur waren, sie benutzten, um Stars zu werden. Bei dieser Perspektive wollte ich es aber nicht belassen: Nicht umsonst endet mein Film mit einer Konzertszene, in der Graffiti-Künstler Zorro ein Werk für die Gemeinschaft sprüht. Dieses Gemeinschaftsgefühl findet sich heute immer noch: Etwa in Brasilien oder Afrika, wo Hiphop den einfachen Menschen, die sonst nie gehört würden, ihre Stimme zurückgibt, Graffiti den bisher Unsichtbaren als Ausdrucksmittel gilt. Das ist die wirkliche, großartige Geschichte hinter Hiphop.

INTERVIEW: JONATHAN FISCHER

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