: Asyl im Ego-Shooter-Land
Die aus Madrid stammende Künstlergruppe Fiambrera Obrera versteht sich als Kommunikationsguerilla. Das Computerspiel „Border Games“, das sie selbst entwickelt und ins Netz gestellt hat, soll zu mehr Austausch mit afrikanischen Einwanderern in Spanien und ihrer stärkeren Repräsentation führen
VON KRYSTIAN WOZNICKI
Ein schwarzer Jugendlicher greift plötzlich zur Waffe. Er befindet sich im Park, alles geht eigentlich seinen normalen Gang innerhalb der vertrauten Nachbarschaft, doch er kommt sich vor wie in einem Videospiel. Statt wie üblich die herannahenden Leute zu grüßen, geht er unvermittelt zur Gewalttat über. Ein Szenario, das in Hollywood-Filmen immer wieder zu sehen und dessen Botschaft gleichwohl bekannt ist. Die Minderheiten der Industrienationen werden quasi natürlich zu Gewalttätern erzogen, nicht zuletzt die Macht des Videospiels macht sie zu ferngesteuerten Spielfiguren.
Nicht immer sind solche Darstellungen selbstkritisch, nicht immer reflektieren sie ihren eigenen Beitrag zur Ausgrenzung etwa von schwarzen Jugendlichen. Nicht immer stellen sie die entscheidenden Fragen: Wie werden Minoritäten in den Medien dargestellt und von wem? Die spanische Künstlergruppe Fiambrera Obrera hat nun ein Computerspiel entworfen, das solche Fragen stellt, eingebettet in denkbar finstere Ego-Shooter-Szenarien. Das Spiel heißt „Border Games“ und versteht sich als Werkzeugkasten für soziale Randfiguren.
Die Standbilder des Spiels zeigen Schwarzafrikaner und marokkanische Einwanderer im Madrider Stadtviertel Lavapiés. Die Figuren wirken wie hineingebeamt in die urbanen Landschaften, als wären sie gerade von einem fernen Stern in den iberischen Alltag gefallen. Aus Fotos herausgeschnitten und in computeranimierte Räume hineinmontiert, sind ihre Konturen mit elektronischen Leuchtstiften fett markiert worden. Der Kontrast zwischen Fotoästhetik und digitalem Realismus unterstreicht ihren Aliencharakter, er verleiht den Situationsbildern aber auch einen utopischen Charme. Erinnern die Montagen nicht etwas an Entwürfe wie man sie von Archigram bis MVRDV aus der Architektur kennt, Entwürfe, die stets versucht haben, Räume des Möglichen zu erschaffen?
Während die Architektur-Utopisten mit vergleichbaren Montagen an futuristischen Visionen bastelten, haftet den „Border-Games“-Images zwar ebenfalls etwas Scifi-mäßiges an, aber in merklich düsterer Manier: Hier prallen Gegensätze aufeinander; hier entladen sich die Probleme einer polarisierten Gesellschaft. Mit analogen Scheren sind strandende, flüchtlingsbeladene Boote von der spanischen Küste in einen U-Bahnhof Madrids versetzt worden, während uniformierte Soldaten im Vordergrund patrouillieren.
Letztere sind, neben den Einwanderern, immer wiederkehrende Akteure, die Zinnsoldaten gleich an strategischen Punkten Position beziehen. Über diesen Gegenpol entfaltet sich ein Spannungsfeld, in dem sich die Spielfigur des Immigranten bewegt. Die groben Schnitte und Konturierungen deuten es an: Alles ist modular, alles ist neu zusammensetzbar.
Ohnehin handelt es sich bei den besagten Situationen lediglich um Vorschläge. Das Spiel, an dem Fiambrera Obrera noch bastelt, versteht sich als Open- Source-Projekt, bei dem die Nutzer Räume und Handlungsverläufe selbst gestalten können. Nicht zuletzt sollen sie in der Lage sein, die Spielfiguren in ihrem äußeren Erscheinungsbild zu prägen. Dieses Angebot richtet sich vor allem an die Protagonisten des Spiels: die Immigranten. Sie sollen in der Lage sein, sich und ihre Realität unter den Bedingungen des Computerspiels zu repräsentieren. Ein klares Programm also – die Korrektur der Fremdbilder und die Verfügbarmachung von Tools der Repräsentation.
Doch es gibt mehr. Das Spiel soll die Spieler miteinander vernetzen. Was bei diversen Online-Spielen längst selbstverständlich ist, hat hier eine politisch relevante Note: Menschen, die sonst in ihren Einzelschicksalen isoliert sind, können hier zueinander finden, sich austauschen, sich solidarisieren.
Dabei richtet sich das Angebot an keine kleine Gruppe. Bekanntlich ist Spanien das Einwanderungsland schlechthin: Wer in Afrika zu Hause ist und nach Europa will, findet meistens seinen Zugang über die Straße von Gibraltar an die Costa de Sol oder angrenzende Landstriche in Spanien. Spätestens die Anschläge von Madrid im März 2004 haben deutlich gemacht, wie immens der Zulauf ist, wie unkalkulierbar die Folgen der Immigration geworden sind. Gemeint ist in diesem Zusammenhang nicht nur das terroristische Potenzial, sondern auch die staatliche, mediale und gesellschaftliche Reaktion auf den Terrorakt, die den in Spanien gärenden Rassismus zutage förderte.
„Border Games“ ist vor diesem Hintergrund als Intervention begreifbar, die zwar die Massenpsychologie im Hinterkopf hat, aber, und das ist wohl auch nicht ganz unwesentlich, darüber hinaus einen Nutzer adressiert, der in vielen Fällen bereits das Computer-ABC gelernt hat. So machen viele Immigranten aus der Maghreb-Region ihre ersten Schritte gen Europa in einem afrikanischen Internetcafé, wo sie Internetportale zur Heiratsvermittlung und ähnlichem besuchen.
Es liegt auf der Hand, dass die Erfinder von „Border Games“ vor allem das politische Potenzial dieses Projekts reizt. Fiambrera Obrera ist in den aktivistischen Zirkeln Spaniens angesiedelt und hat sich in den letzten Jahren vor allem mit ihren Yomango-Aktionen einen Namen gemacht, bei denen die Künstler-Aktivisten rote Bücher mit Tipps zum Ladendiebstahl verteilten. Dafür bekamen sie sogar Preise und Nachfragen von Museen in verschiedenen Ländern. Als aber ein globalisierungskritischer Zusammenhang im Rahmen der Jahrestagung des Bundeskongress Internationalismus in Kassel eine Yomango-Aktion organisierte, führte das zu polizeilichen Ermittlungen und im Nachhinein noch zur Streichung der Gelder durch die Evangelische Kirche.
Nun tritt Fiambrera Obrera mit einem Projekt an die Öffentlichkeit, das an die aktionistische Ausrichtung ihres Vorgängerprojekts anknüpft, das aber bezeichnenderweise nicht in Spanien, sondern in den USA ersonnen worden ist. Wie die Mitglieder gegenüber der spanischen Tageszeitung El País erklären, kam ihnen die Idee während eines L.-A.-Aufenthalts. Wurden sie vielleicht von Hollywood-Filmen inspiriert? Vielleicht.