Türsteherkrieg fordert erstes Opfer: Aggro Leipzig

Leipzig - das Eldorado von Klassikliebhabern und Architekturfans, versinkt in der Gewalt des "Türsteherkriegs". Am Wochenende wurde ein Unschuldiger ermordet.

Beim Rauchen erschossen - Andreas K. starb vor dem "Mia's" in der Leipziger Innenstadt. Bild: dpa

Sieben demolierte Clubs, mehrere Schwerverletzte, rund 50.000 Euro Sachschaden - und ein Toter: die Bilanz eines Abends, der Leipzig in den Ausnahmezustand versetzte. Stundenlang knallte, klirrte, rummste es in der Nacht zu Samstag in der Stadt. Scheiben zerbarsten, Knochen gingen zu Bruch, Mobiliar wurde zertrümmert, Fäuste flogen, und irgendwann fiel ein Schuss: Andreas K., ein Partygast in der Innenstadtbar Mias, starb durch einen Kopfschuss - er hatte vor der Tür eine rauchen wollen. Der unbeteiligte Koch ist das erste Todesopfer in einem absurden Kleinkrieg zwischen Türstehern auf der einen und einer diffusen Gruppe von Ausländern auf der anderen Seite, der Leipzig seit gut 18 Monaten erschüttert. Gegen beide Gruppierungen wird derzeit ermittelt.

Leipzig gilt seit jeher als Kultur-Hochburg und Sitz des intellektuellen Bürgertums: Bereits der Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe und Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy weilten zeitweise im "kleinen Paris". Im 20. Jahrhundert etablierte sich Leipzig als wichtiger Standort des Buch- und Verlagswesens.

Auch in DDR-Zeiten blieb es in der sächsischen Großstadt turbulent: Beim Volksaufstand vom 17. Juni 1953 kam es zu heftigen Ausschreitungen. Die Bürger protestierten gegen die Regierung der DDR. Ende der 80er-Jahre läuteten die von der Leipziger Nikolaikirche ausgehenden Montagsdemonstrationen die deutsche Wiedervereinigung ein. Nach der Wende festigte Leipzig seinen Ruf als Messe-, Medien- und Universitäts- stadt. Die Leipziger Buchmesse gibt wichtige Impulse für die Literaturszene. Heute leben rund 510.000 Menschen in Leipzig, das damit nach Berlin die größte ostdeutsche Stadt ist.

"Es geht dabei um Vormachtstellungen im Ausgehgewerbe", vermutet Diana Voigt von der Leipziger Polizei. Die beiden Security-Firmen Black Rainbow und L. E. Security kontrollieren rund 90 Prozent der Bars und Discotheken. Leipzig ist damit eine der letzten deutschen Städte, in der das Geschäft mit der Sicherheit fest in deutscher Hand liegt. Angeblich versucht eine armenisch-libanesische Ausländergruppe diese Phalanx zu durchbrechen, um vor allem den eingedämmten Drogenhandel in den städtischen Clubs wieder aufleben zu lassen. Dies wird allerdings weder von der örtlichen Polizei noch von der Staatsanwaltschaft bestätigt. Aber eben auch nicht dementiert.

Angefangen hat alles 2007 mit ein paar Hausverboten gegen ausländische Jugendliche, die sich in verschiedenen Etablissements geprügelt hatten und Drogen verkauften. Seitdem wurden knapp 20 Bars und Diskotheken immer wieder heimgesucht. Die Angreifer zerstörten Scheiben, randalierten in den Clubs, schüchterten die Gäste ein. Türsteher wurden privat verfolgt, telefonisch und per SMS bedroht, ein Tätowierer wurde schwer zusammengeschlagen, auf einen der Mitarbeiter wurden aus einem fahrenden Auto sogar Schüsse abgegeben. "Das ist Terrorismus auf den Straßen," sagt einer der Türsteher der Black Rainbow Security, der seinen Namen aus Angst vor weiteren Übergriffen nicht in der Zeitung lesen will. "Wenn das so weitergeht, hänge ich meinen Job an den Nagel. Ich habe Angst."

Freitagnacht eskalierte es dann endgültig. Rund 50 zum Teil schwer bewaffnete Männer stürmten die Räumlichkeiten der Diskothek Schauhaus, stachen unter anderem den L.-E.-Security-Gesellschafter Marko Z. nieder. "Er ist seit Montag außer Lebensgefahr", sagt sein Anwalt Stephan Bonell, "aber noch nicht vernehmungsfähig." Seitdem wird er im Krankenhaus von seinen eigenen Leuten rund um die Uhr bewacht.

Aus Szenekreisen wurde bekannt, dass sich die Türsteher ebenso wie die befeindete Gruppe im Vorfeld organisierten, Verstärkung von Kollegen aus Magdeburg und Zwickau bekamen. So standen sich um drei Uhr nachts auf der Straße gut 150 Leute gegenüber, die sich untereinander, aber auch mit der 60 Mann starken Einsatztruppe der Polizei erbitterte Kämpfe lieferten. Die enorme Brutalität der Angreifer drückt sich in der Schilderung des Polizeichefs Rolf Müller aus: "Sie gingen sogar auf unsere Diensthunde los, ließen sich von ihnen in den Arm beißen, um ihnen dann die Schnauze zuzuhalten und auf sie einzuschlagen."

Aus dem Mob heraus löste sich dann eine 15-köpfige Gruppe heraus, die im Trubel nicht verfolgt werden konnte. Stundenlang wüteten sie durch die Stadt. An der Ecke des bekannten "Barfußgässchens" fielen dann plötzlich drei Schüsse, "abgefeuert von einem dunkelhäutigen Mann", wie Müller das Szenario beschreibt. Eine der Kugeln traf den unschuldigen Andreas K.

Trotz der mehrstündigen Übergriffe konnten die Täter nicht gefunden werden, "auch Festnahmen konnten bislang nicht getätigt werden", bestätigt Staatsanwalt Ricardo Schulz. "Das ist ja der eigentliche Skandal", sagt der Black-Rainbow-Mitarbeiter. "Die Täter sind der Polizei bekannt - und trotzdem passiert nichts." Diese Anschuldigung wird vonseiten der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen.

Für Samstag wurden Spezialeinheiten der Polizei aus dem gesamten ostdeutschen Gebiet nach Leipzig gesendet. Die Stadt glich am Abend der Orwellschen "1984"-Fantasie einer totalen Staatsüberwachung. Und trotz des massiv verstärkten Einsatzes kam es schon am Montag wieder zu Zwischenfällen. Im Leipziger Osten wurde eine Turnhalle niedergebrannt, in der bekanntermaßen Türsteher der L. E. Security ihr Kampfsporttraining absolvieren. Verletzt wurde diesmal niemand.

Was ist da nur los in dieser Stadt? Der Bachstadt, der Goethestadt, der Messestadt, die nach der Wiedervereinigung so liebevoll und kostenintensiv aufgehübscht wurde? Einer bürgerlichen Bildungsstadt, die im Gewandhaus das größte professionelle Orchester der Welt beheimatet, diesem Eldorado für Klassikfans und Architekturliebhaber. Einer historisch zutiefst linken Stadt, die neben Berlin und Göttingen das Zentrum linker Kultur in Deutschland ist. In der sich mit DHL, BMW und Porsche in den vergangenen Jahren große deutsche Firmen niederließen - und die so zum zentralen Wirtschaftsstandort in Mitteldeutschland geworden ist.

Erst erschütterten Verfassungsschutzakten im sogenannten Sachsen-Sumpf, der Leipziger Behörden und hochrangigen Beamten Korruption, Bestechung, sogar sexuellen Missbrauch von Kindern vorwarf, die Stadt. Und auch wenn sich der Sumpf mehr und mehr als Pfütze entpuppte, blieb ein bitterer Beigeschmack übrig. Dann führten Spuren des Sechsfachmordes der italienischen Mafiagruppierung Ndrangheta in Duisburg nach Leipzig, außerdem wird die Stadt schon traditionell von Gewaltexzessen im Fuballmilieu begleitet. Die rivalisierenden Fangruppen vom FC Sachsen Leipzig und Lok Leipzig liefern sich immer wieder Schlägereien, im Winter wurden mehrere Fangaststätten brutal überfallen.

Und jetzt der "Türsteherkrieg". Leipzig versinkt buchstäblich in der Gewalt, die topsanierte Innenstadt gerät mehr und mehr zur Fassade. Zwar ging das Gesamtstrafenaufkommen laut Kriminalstatistik seit 1992 kontinuierlich zurück, schwere Straftaten gegen das Leben aber nehmen, wenn auch nur leicht, stetig zu. Leipzigs Bürger fühlen sich in ihrer Stadt nicht mehr sicher. Und auch Lokalbetreiber fürchten sich vor dem, was da noch kommt. Das zeigt allein die Tatsache, dass keiner der Befragten seinen Namen lesen will. Angst grassiert - und ohne konkreten Polizeiplan wird sich an der Gewalt nichts ändern. Davon ist auch Michael Kuhr überzeugt, ehemaliger Türsteher und jetziger Sicherheitschef der Personenschutzfirma Kuhr Security in Berlin. "Wir hatten vor knapp zehn Jahren das gleiche Phänomen in Berlin. Massiv gewaltbereite Ausländer wollten die Türen erobern. Ich gehe von einem Machtkampf in Leipzig aus." Solange nicht, wie in Berlin seit der Gründung einer Spezialeinheit, organisiert gegen Gewalt in der Türsteherszene vorgegangen wird, kommt es immer wieder zu solchen Szenen wie am Wochenende, ist sich Kuhr sicher.

Die Führung der Stadt ist derweil ratlos. "Das ist eine absolute Katastrophe, ich bin schlichtweg erschüttert", sagt Heiko Rosenthal, der Ordnungsbürgermeister der Stadt Leipzig. "Wir wissen, dass es seit einiger Zeit zu Übergriffen auf verschiedene Lokalitäten kommt, aber mit so einer Eskalation konnte man einfach nicht rechnen." Aber eine Idee, warum es ausgerechnet in Leipzig so weit kommen konnte, hat er dann doch: "Die Mischung der Menschen ist nicht so homogen wie in anderen deutschen Großstädten, die Struktur ist sehr dispers. Als größte Stadt des Ostens, Berlin mal ausgenommen, zieht Leipzig eben auch ein nicht immer ganz friedliches Publikum an." Von der Stadt und vor allem auch von den ermittelnden Behörden fordert Rosenthal neben einer lückenlosen Aufklärung der Geschehnisse auch ein deutliches Zeichen, dass Leipzig kein rechtsfreier Raum ist, "damit die Bürger wissen, dass sie eigentlich keine Angst haben müssen". Leipzig, das sich etwas großspurig und amerikasüchtig L. E. nennt, erinnert zusehends an sein wie auch immer geartetes und über die Maßen zweifelhaftes Vorbild L. A.

Der Dichter Gotthold Ephraim Lessing erscheint wegen der aktuellen Vorkommnisse aufgrund seiner Worte über Leipzig postum als Prophet: "Ich komme nach Leipzig, an den Ort, wo man die ganze Welt im Kleinen sehen kann." Mit all ihrer Schönheit, meinte der Dichter wohl. Seit kurzem aber eben auch mit all ihrer Schlechtigkeit, Untugend und Brutalität.

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