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Archiv-Artikel

Surrender and devotion

DAS SCHLAGLOCH von RENÉE ZUCKER

Allerdings will auch der nichtmuslimische Ballermann-Vertreter mit Diderot in Ruhe gelassen werden

Leyla hat die Schnauze voll. Endgültig. Morgens war sie noch voller Elan in die Praxis gestürzt und hatte den Menschen Gutes tun wollen, aber nun war Schluss damit. „Drei Jahre hat dieses Mädchen an meiner Seite verbracht,“ schreit sie mediterran entnervt, „drei Jahre hat sie alles von mir mitgekriegt: wie ich fühle, wie ich denke, wie ich lebe. Wir haben zusammen gearbeitet, gegessen und gelacht. Drei Jahre hab ich sie ausgebildet, sie hat eine hervorragende Prüfung gemacht, und jetzt das!“

Leyla ist fix und fertig. Am Tag zuvor war sie aus dem Heimaturlaub zurückgekommen. Hatte die letzten Ramadantage am Meer verbracht und festgestellt, dass niemand in dem Hotel voll mittelständischer Istanbuler Familien und Alleinreisender fastete, weder Gäste noch Hotelangestellte. In der Türkei also alles prima. Doch kaum zurück in Kreuzberg, ist mit der ersten Nachricht die Erholung perdu: Ayshe, ihre ehemalige Auszubildende, hatte das Kopftuch genommen. Ayshe arbeitet nicht mehr. Ayshe hat geheiratet.

Leyla will jetzt auch nicht mehr arbeiten, obwohl sie nicht heiratet. Leyla will vor allem nicht mehr mit Türken arbeiten. Leyla hat die Schnauze voll. Von Türken, Kopftüchern und dem Islam. Und ich sowieso. Braver als jeder hinterpakistanische Koranschüler lese ich seit drei Jahren nahezu jedes Buch über muslimische Sitten und Gebräuche, informiere mich über importierte Bräute, ungebildete junge Männer und andere radikale Verlierer, dabei würde ich mich viel lieber intensiv mit der Welt der Meisen und Spatzen beschäftigen, Altgriechisch und Urdu lernen und herausbekommen, wie zu Catos Zeiten jene Entkernungsmaschine von Oliven funktioniert haben mag, die es heute nicht mehr gibt. Deshalb müssen Oliven immer mit Kern gepresst werden. Das kann man nun wirklich mal einen kulturellen Rückschritt nennen.

Aber gut, life is what happens to you when you’re busy making other plans, wie schon Dr. Beatles wusste. Also weiter nachdenken über verfehlte und gelungene Integration, über Parallelwelten und kulturelle Unvereinbarkeiten. Aber was ist kulturelle Unvereinbarkeit? Dass hier zur 1.-Mai-Randale im Gegensatz zu irgendeinem Ort in Frankreich keiner irgendwas mit Allah brüllt, wenn er einen Molotowcocktail in einen Müllcontainer wirft?

Oder stimmt eher das, was der jetzt allerorten zitierte, geheimnisvolle, angebliche Gefängnisarzt Theodore Dalrymple in seinen englischen Kolumnen über das Böse in der Welt, vor allem in der islamischen Welt schreibt? Dass es mit Religion rein gar nichts zu tun habe, sondern einzig mit Wahrung der männlichen Vorherrschaft, die in muslimischen Gesellschaften einfach ungefragter hingenommen wird? Das könnte tatsächlich was mit Kultur zu tun haben. Allerdings ist es noch gar nicht so lange her, als es auch in unserer Kultur eine männliche Vorherrschaft gab. Die Ursachenforschung über Selbstmordattentäter verlaufe im Sand, stellt Hans Magnus Enzensberger in seinem Aufsatz über die radikalen Verlierer fest. Man wisse nur, dass der Weltmarkt immer mehr von ihnen produziere. Es müsse wohl individuelle Isolation, ein ordentlicher Minderwertigkeitskomplex und genügend Verschwörungstheorie zusammenkommen, fertig sei der gefährliche junge Verrückte.

Gilt aber wirklich das Gleiche für den palästinensischen wie für den englischen Attentäter, nicht zu sprechen von tschetschenischen Attentäterinnen? Und was haben die arabischen und afrikanischen Jungs in Frankreich damit zu tun? André Glucksmann hat natürlich wie immer eine besonders originelle These: An den Nächten in Frankreich könne man erkennen, wie fabelhaft die Integration der Jugendlichen in den Vorstädten geklappt habe. Sie verhielten sich doch sehr französisch, wie Chirac geradezu, der sich ja mit seinem Nein gegenüber Europa auch egoistisch und destruktiv gezeigt habe.

Dann doch lieber zurück zu Theodore Dalrymple (auf dieses Pseudonym kann man richtig neidsch sein!) Testosteronbomben, die als Selbstmordattentäter explodieren. Er spricht ihnen jegliches spirituelle Empfinden, geschweige denn religiöses Bewusstsein ab und hat dafür den potencial space entdeckt – jene Lücke, die sich durch eine Entzündung zwischen zwei Muskelgeweben oder Organen auftut, die nur durch feine Membranen getrennt, sehr nah beieinander liegen. Entzündet sei das Bewusstsein jener jungen Männer, die sich selbstmitleidig als missbrauchte Opfer einer Gesellschaft ansehen, deren Ingredienzien westlicher Popkultur sie wie jeder einheimische Proll genießen und die ganz nah daneben liegende andere westliche Kultur zu ignorieren und abzulehnen. Coca Cola, ja bitte, Diderot, nein danke. Zwar will auch der nichtmuslimische Ballermann-Vertreter mit Diderot in Ruhe gelassen werden, würde allerdings trotzdem nicht mit dieser Inbrunst sich selbst und viele andere in die Luft sprengen.

Vielleicht hakt hier Enzensbergers radikale Verlierertheorie. Vielleicht muss doch noch etwas ganz Elementares hinzukommen – ein inneres Drängen zur individuellen Isolation, ein Minderwertigkeitskomplex und der paranoiden Schuldzuweisung wahlweise an Amerikaner, Juden und Geheimdienst. Man könnte es, angesichts der islamischen Kunst und dem muslimisch ornamentalen Erzählteppich, als schwärmerischen Mystizismus, einen romantischen Wunsch nach Verschmelzung und Heldentum, als unbedingte Hingabe bezeichnen (und sich dabei wieder einmal fragen, warum es im Arabischen keinen Unterschied zwischen Hingabe und Unterwerfung gibt). Aber das ist ja entsetzlich katholisch, stöhnt jetzt meine strenge Freundin Ingke auf, die von dererlei Spökenkiekergedöns überhaupt nichts wissen will.

Leyla hat die Schnauze voll. Von Türken, Kopftüchern und dem Islam. Und ich sowieso

Sie findet schon die Frage nach dem „Warum“ falsch, weil sie nur in aufgeklärten Kulturen zu stellen sei. Es gebe in der muslimischen Kultur kein individuelles Warum, es gebe nur die Unterwerfung unter das Gesetz. Es gebe nicht die Verantwortung des Einzelnen für sein Tun und Lassen, mit der er dann leben und immer wieder neu entscheiden müsse. „In dieser Kultur gibt es nur die Last, dass dein ganzes Leben als Beweis dafür dienen muss, Gottes Wort gehorcht zu haben. Das kennt ihr verweichlichten, sündigen Beichtheinis doch gar nicht“, hämmert sie mir noch mal rasch ihre Ablasshandelverachtungsthesen vor den Latz, während die jüdische Leyla für einen Moment den Faden verloren hat und denkt, es handle sich doch jetzt wohl eher um eine innerdeutsche Auseinandersetzung.

Sie hat Ayshe jedenfalls, echt türkisch vermutlich, nicht die Warum-Frage gestellt. „Ich kenne doch die Antwort viel besser als sie“, sagt sie. „Sie glaubt, dass die Liebe sie unendlich glücklich macht, deshalb hat sie geheiratet. Jetzt kriegt sie ein Kind und hockt zu Hause rum und langweilt sich. Da zieht sie sich ein Kopftuch an, damit sie nach was aussieht und stellt jetzt was dar. Fertig.“ – „Und der Unterschied zwischen Unterwerfung und Hingabe kann für solch autoritätswilligen Rheinländer wie dich nur darin bestehen, ob man auf dem Bauch oder auf dem Rücken liegt“ beendet jetzt auch meine norddeutsche Freundin Ingke eines dieser nicht enden wollenden Fragespiele zum Weltgeschehen.

Fotohinweis: Renée Zucker lebt als Publizistin in Berlin