Unruhen in Tibet: Zwischen Widerstand und Anpassung

Wer mit dem Zug von Lhasa nach Xining fährt, erlebt wie verschieden die Tibeter über Chinas Führung denken: Mönche haben Angst, Dörfler freuen sich über wachsenden Wohlstand.

Seltene Aufnahme: eine Demonstration von Mönchen in Gardze Town. Bild: dpa/freetibet.org

XINING taz Tibeter und Ausländer werden nicht vorgelassen zum Geburtshaus des Dalai Lama in der westchinesischen Provinz Qinghai. Schuld seien die Unruhestifter in Lhasa, erklären die Polizisten. Sie stehen an der Auffahrt einer Bergstraße rund eine Stunde südwestlich der Provinzhauptstadt Xining. Das Heimatdorf des tibetischen Oberhaupts liegt nur ein kleines Wergstück von der Sperre entfernt auf der anderen Seite der Berge. Ein Verwandter des 72-jährigen Dalai Lama lebt dort noch. "Sein Haus sieht aus wie jedes andere hier", sagt ein blau uniformierter Wachmann, " es gibt nichts Besonders zu sehen." Gewöhnlich kann man in einer restaurierten Kapelle das Bett und den Thron des jungen Dalai Lama besichtigen. Auch hängen Bilder der ganzen Familie in einem Seitenraum. Fotos des Dalai Lama sind ansonsten in China verboten.

Der Dalai Lama will im Mai für eine Woche Deutschland besuchen. Der Aufenthalt sei für den 14. bis 20. Mai geplant, sagte die Sprecherin der Tibet Initiative Deutschland, Ingeborg Schnetzer.Vier Auftritte des geistlichen Oberhaupts der Tibeter in Bochum, Mönchengladbach, Nürnberg und Bamberg sind bereits ausverkauft. Auf dem Programm stünden außerdem Treffen mit Bundestagspräsident Norbert Lammert, dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Günter Nooke, und den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Hessen, Jürgen Rüttgers und Roland Koch. Zu einem weiteren Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel wird es dagegen nach jetzigem Stand nicht kommen. Eine Anfrage im Kanzleramt sei mit dem Hinweis beantwortet worden, "dass die Bundeskanzlerin den Dalai Lama wieder empfangen will, aber nicht im Mai", sagte Schnetzer. Im September hatte Merkel als erste deutsche Regierungschefin den Dalai Lama im Kanzleramt empfangen und damit eine diplomatische Krise in den Beziehungen zu China ausgelöst.

Der Dalai Lama habe zuletzt 1959 seinen Geburtsort besucht, sagt der Polizist. Aber die Tibeter hier glaubten sowieso nicht mehr an ihn. Sie seien sinisiert. Früher wären sie Hirten gewesen, nun seien sie Bauern wie die Chinesen, bauten Weizen und Kartoffeln an, erzählt er.

Ein blauer Lastwagen stoppt an der Polizeikontrolle. Sieben Tibeter möchten ins Dorf hinauf fahren. Zum traditionellen Ahnenfest wollen sie die Gräber ihrer Vorfahren schmücken. Die Frauen tragen festliche, bunte Gewänder und Fuchspelzmützen. "Ich glaube an den Dalai Lama", sagt einer der Männer in dunklen Anzügen, "sein Haus ist etwas ganz Besonders." Er verstummt als der Polizist näher kommt. Der Wachmann lächelt und winkt den Lastwagen durch. Das seien ja Anwohner und keine Fremden, sagt er.

Von solcher Nachsicht mit Freunden des Dalai Lama ist die Pekinger Regierung nach wie vor weit entfernt. Für sie ist der Dalai Lama heute der Staatsfeind Nummer Eins. Ihr ist sein Charisma wohl unheimlich, seine große Unterstützung in aller Welt unerklärlich. Also hält die Pekinger Propaganda daran fest, dass er sämtliche Proteste organisiert und angeheizt hat. Seit Tagen hetzen alle offiziellen chinesischen Medien gegen die Dalai-Lama-Clique. Dabei war der Dalai Lama der erste, der versuchte, die weiterhin zunehmenden Konflikte zwischen Tibetern und Peking zu entschärfen. Er drohte sogar mit seinem Rückzug aus der Politik, wenn seine Landsleute weiter gewalttätig protestieren würden.

Die Lage in Lhasa hat Peking nun unter Kontrolle. Doch die Demonstrationen der Tibeter beschränken sich längst nicht mehr auf die Hauptstadt am Himalaja. In den Nachbarprovinzen Sichuan, Gansu und Qinghai gehen immer wieder Tibeter auf die Straße. Rund 200 Geistliche und 800 Zivilisten zogen am Samstag von der Stadt Hezuo in Qinghai ins 25 Kilometer entfernte Xiapagou in der Nachbarprovinz Gansu. Sie riefen nach der Rückkehr des Dalai Lama und einem freien Tibet. Auf dem Rathaus von Xiapagou hissten sie die tibetische Flagge. In der Provinz Qinghai trugen Mönche des Klosters Rebkong die Flagge Tibets und Bilder des Dalai Lama durch die Straßen der Stadt Gardze.

Die Mönche des Klosters Taer im Westen Qinghais hatten einem nächtlichen Treffen mit der taz in Xining schon zugestimmt. Sie wollten berichten von ihren unterdrückten Protesten, von der Belagerung durch die Militärpolizei und dem Telefonverbot. In ziviler Kleidung wollten sie sich aus dem Kloster schleichen. Doch dann erfuhren sie, dass andere Mönche samt ihrer studentischen Übersetzter verhaftet worden waren. Das Risiko sei ihnen zu groß, ließ ihr tibetischer Kontaktmann ausrichten.

Aus Lhasa sollen Tibetern Reisen in andere Provinzen möglichst erschwert werden. In der Eisenbahn von Lhasa nach Xining sind die chinesischen Reisenden in der Mehrheit. Beim Einstieg in der Hauptstadt Tibets gibt es außergewöhnlich strenge Kontrollen der bewaffneten Militärpolizei. Auf dem Vorplatz des überdimensionalen Bahnhofgebäudes stehen Militärlastwagen und mehrere Dutzend Polizisten.

Wer keinen Personalausweis und kein Ticket hat, darf das Gelände nicht betreten. Polizisten durchleuchten das Gepäck. Wieder überprüfen sie Tickets und Ausweise. Beim Einsteigen auf dem weißen futuristischen Bahnsteig nehmen die Zugbegleiter allen Passagieren die Papiere ab. Sie notieren die Personalien und rufen dann die Besitzer der Ausweise einzeln auf.

Aus Angst vor den Protesten der Tibeter ist ein chinesischer Händler in brauner Jacke mit seiner Familie aus Lhasa geflüchtet. "Aber nicht alle Tibeter sind schlechte Menschen', fügt er hinzu. Seit acht Jahren pendelt er zwischen seiner Heimat im Osten der Provinz Gansu und Lhasa. Der Vater zweier Kinder verkauft Kleider. Das Geschäft gehe gut. Im Alltag gebe es keine Reiberein mit den tibetischen Kunden. Ob die Religion bei den Protesten eine Rolle gespielt habe, wisse er nicht. "Ich kann gar nicht sagen, was die da so machen", meint der Geschäftsmann nachdenklich, "ich nehme ja nicht daran teil."

Proteste und Konflikte kennen die rund 200 Bewohner des Dorfes Hongyan nur aus dem Fernsehen. Im Ort an der Westgrenze der Provinz Qinghai leben genauso viele Tibeter wie Chinesen. Alle Häuser sind aus Ziegelsteinen und Lehm gebaut. Alle haben Strom und fließendes Wasser.

Im Wohnraum einer tibetischen Familie tafelt gerade eine 10-köpfige Geburtstagsgesellschaft. "Hier herrscht Harmonie zwischen den Völkern", ruft der Gastgeber mit Brille und lila Hemd. Mit einem tibetischen Landsmann und vier Chinesen feiert er das fünfte Lebensjahr seiner Tochter. Allen geht es immer besser, alles ist friedlich, stimmt sein chinesischer Nachbar im roten Pullover unter brauner Cordjacke ein. Sie kreuzen die Armee und trinken einen Schnaps zusammen. Außer Torte stehen noch Yak- und Rindfleischplatten auf dem langen Tisch. Gegenüber der Tür hängt eine große Wanduhr mit einem Mao-Bild. Im Zimmer steht das Hochzeitsfoto des Tibeters mit seiner chinesischen Frau.

Abends erteile man den Tibetern hier immer politischen Unterricht, sagt ein älterer Chinese in der Runde. Alle lachen. Sie seien schon sinisiert, erklärt der Hausherr. In seiner Kindheit habe er mehr Tibetisch gegessen. Dass sein Kind bald besser Chinesisch als Tibetisch spreche, sei für ihn ein Teil der Modernisierung. Auch Religion und der Dalai Lama seien ihm und dem anderen tibetischen Freund nicht mehr so wichtig. Der nächste Tempel liege 60 Kilometer entfernt. "Das Wichtigste ist, dass sich der Lebensstandard immer mehr verbessert", sagt der junge Chinese im roten Pullover, "einen Tempel hier in der Nähe zu bauen, wäre doch Geldverschwendung." Er lacht und stößt den Gastgeber an. Der schweigt ganz plötzlich.

Wenig entfernt vom Dorf treibt der tibetische Schäfer Zhe Gujia (Name geändert) seine Tiere über die Straße. 250 Schafe besitzt er, 100 Rinder und 50 Yaks. Der Tibeter mit der roten Wollmütze und der hellen Stoffhose wohnt mit Frau und drei kleinen Kindern rund 300 Meter von der Hauptstraße entfernt. Hinter seinen Haus liegt weit und breit nur grüne Steppenlandschaft. Das Leben sei hart, sagt Zhe. Seine Eltern seien auch Schäfer, nur ein paar Kilometer weiter östlich der Straße entlang. Den Gebetsbaum hinter dem neuen Hausanbau mit Glasdach hat der 25-jährige selbst errichtet. Ein Dutzend bunte Tücher sind von der Spitze des weißen Mastes im Boden befestigt. Davor steht ein Steintrog für Weihrauchstäbchen. Ein Mal pro Woche zündet er hier erst die Stäbchen an, verbeugt sich und geht denn drei Mal um den Baum herum. Manchmal gebe es Reibereien mit den Chinesen, sagt Zhe leise. Und ja, er glaube an den Dalai Lama.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.