Plattenlabel-Organisation löscht brisante Daten: Mussolini und die Filesharing-Jäger

IFPI, die Organisation der Plattenlabels, scheint nicht stolz zu sein auf ihre Geschichte und löscht Daten bei Wikipedia. Ein schwedischer Historiker fand heraus, warum.

Gibt sich mordern und schaut lieber nicht zurück: IFPI. Bild: screenshot ifpi.org

STOCKHOLM taz Feiert eine Firma ihr 75jähriges Jubiläum, ist das für sie in der Regel ein Grund zu feiern und über ihre Geschichte zu erzählen. Bei der International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) - der Lobbyorganisation der Plattenindustrie, die sich bekanntlich bei der Jagd auf Internet-Filesharing besonders hervortut - scheint das Verhältnis zur eigenen Vergangenheit etwas gestört zu sein. Das fiel dem schwedischen Historiker Rasmus Fleischer kürzlich auf, als er auf der IFPI-Webbseite vergeblich etwas über deren Geschichte erfahren wollte.

Nach einiger Suche verstand Fleischer auch schnell, warum das so sein könnte. Dass sich die Plattenindustrie 1933 zu einem ersten Kongress, bei dem es um die Bildung einer weltweiten Organisation gehen sollte, ausgerechnet im faschistischen Italien eines Benito Mussolini traf, muss dabei ja nicht unbedingt viel bedeuten. Auch nicht, dass man diesem Tagungsland bis zum Ausbruch des 2. Weltkriegs dann treu blieb. Man war eben zufrieden mit den Bedingungen, die Mussolini der Branche bot. Fleischer: "Gerade bei diesem Regime fand die Branche spezielles Gehör für ihre Lobbytätigkeit."

Inhaltlich ging es der Plattenbranche darum, ein eigenes Urheberrecht für ihre Unternehmen zu begründen. Das war keine Selbstverständlichkeit. Die Berner Konvention, die das Urheberrecht an Gedrucktem regelte, koppelte dieses rechtlich nämlich an die Schriftsteller oder Photographen selbst. So wollten es eigentlich ursprünglich für den Musiksektor auch die Komponisten und deren Interesseorganisationen haben. Liessen sich von den Plattenfirmen aber überzeugen, dass nicht ein Aufgehen unter der Berner Konvention, sondern ein eigenes Urheberrecht, die spätere Rom-Konvention, ihre Interessen am besten wahrnehmen würde.

Experten eines in Rom ansässigen Rechtsinstituts wurden 1939 mit dem Entwurf einer Konvention beauftragt, die Rechte von Künstlern, Produzenten und Vertriebsfirmen vereinen sollte. Fleischer: "Wir können davon ausgehen, dass diese loyal mit dem faschistischen Regime oder dessen willfährige Mitläufer waren." Unterbrochen vom Zweiten Weltkrieg traf sich das Komitee nicht mehr im nun nicht mehr faschistischen Italien, sondern im faschistischen Portugal eines Antonio Salazar. Vielleicht war das ja nur ein Zufall, vielleicht aber auch nicht, meint Fleischer: Jedenfalls erarbeitete die Plattenbranche eine Konvention in direkter Konkurrenz zu einer alternativen der internationalen UN-Arbeitsorganisation International Labour Organization ( ILO ), welche vor allem das Urheberrecht der Musiker selbst im Auge haben wollte.

Wäre diese schneller zu einem Resultat gekommen, als die Plattenbranche, meint Fleischer, "könnte man sich vorstellen, dass das internationale Urheberrecht heute eine ganz andere Ausrichtung hätte. Dort wurden nämlich die Musiker und nicht die Plattenfirmen als legitime Rechteinhaber für die Musik, die im Radio oder in der Öffentlichkeit gespielt wurde, gesehen." Nur dank der Rom-Konvention hätte die Plattenbranche zwar kein eigentliches, aber doch dem Urheberrecht "nahe stehendes" Recht eingeräumt bekommen, das sich in der Folge als immer wichtiger erweisen sollte.

"Das bedeutet nicht, dass die Rom-Konvention 'faschistisch' ist", stellt Rasmus Fleischer ausdrücklich klar: "Aber sie hat stark korporative Züge, die eine deutliche Spur in der Urheberrechtsbürokratie hinterlassen haben." Ausserdem habe die Plattenbranche "einen taktischen Vorteil aus der antigewerkschaftlichen und korporativen Politik des faschistischen Regimes" gezogen, "in einem Streit, der noch heute die Ausformung des Urheberrechts prägt."

Dass IFPI 1933 im faschistischen Italien gegründet wurde, konnte man noch 2005 auf der englischen Seite des Online-Lexikons Wikipedia lesen. Bis dieser Eintrag 2006 entfernt wurde, hieß es da: "It was formed (...) during 1933 in Rome, Italy, under the fascist government of Benito Mussolini by companies mainly owned or controlled by General Electric in the United States of America." Am 25. August 2006 wurde dann der gesamte Geschichts-Abschnitt über IFPI bei Wikipedia gelöscht. Von einem Benutzer mit der IP-Adresse 195.40.39.2. . Dahinter verbirgt sich die IFPI-Zentrale in London: mail.ifpi.co.uk.. Und Fleischer fragt: "Warum hat IFPI eigentlich eine solche Angst vor der eigenen Geschichte?"

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