„Aufrechter Gang, krummes Kreuz“

betr.: „Keine Debatte um Symbole“, Kommentar vonAndreas Wyputta, taz nrw vom 10. 11. 05Wir sind ganz beieinander in der Ablehnung jeglicher Form von Diskriminierung, insbesondere auch in unseren Schulen, sei es aufgrund der Herkunft der Religion oder aus sonst einem Irrsinns-Grund.

Aber ihre Forderung nach Verbannung aller religiösen Symbole aus unseren Schulen halte ich für absurd und naiv! Ohne das glaubwürdige und mit den Grundwerten unserer Verfassung kompatible religiöse Bekenntnis, das sich praktisch im Einsatz „für die Geringsten unserer Brüder und Schwestern“ bewährt, wird auf Dauer kein „Staat“ oder besser keine freie, gleiche und geschwisterliche Gesellschaft zu machen sein! Lesen Sie den amerikanischen Philosophen Michael Walzer (“Exodus“), wenn Sie begreifen wollen, wie tief die Grundwerte der jüdisch-christlich-islamischen Tradition in die Freiheitsgeschichte der Moderne eingeschrieben sind, ohne die sie gar nicht zu begreifen und ihre Zukunft nicht zu denken ist. Lesen sie Jürgen Habermas oder den Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde, die in letzter Zeit immer wieder darauf verwiesen haben, dass die moderne, säkulare Demokratie sich auf ihre – auch religiösen! – Wurzeln besinnen muss, um über kurz oder lang nicht an innerer Auszehrung zugrunde zu gehen. Sagen Sie mir eine moderne Freiheitsbewegung von Indien über die USA, Lateinamerika und Südafrika bis hin zur Nikolaikirchenrevolte in Leipzig, in der Religion als Freiheitsbewusstsein keine entscheidende Rolle gespielt hat: Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Oscar Arnulfo Romero, Desmond Tutu – religiös motivierte Freiheitskämpfer, die gar nicht zu begreifen sind und deren Beispiel auch nicht weiterzuvermitteln ist ohne zugleich über Religion, über Judentum und Christentum und Islam und Buddhismus und Hinduismus zu sprechen [...].

Wer die Religion aus der Öffentlichkeit – und damit aus unseren Schulen – wegradiert, wird blind gegenüber der modernen Emanzipationsgeschichte (ich höre schon den Einwand: „Als wäre die Religion nicht zugleich die finstere Geschichte von Intoleranz, Unterdrückung und kriminellen Machenschaften aller denkbaren und undenkbaren Art! – Ja, recht gesprochen! Aber eben nicht nur das, sondern Religion war immer auch Aufstand des Menschen für den Menschen, war immer auch, wie der alte Protestant Helmut Gollwitzer sagte: „aufrechter Gang unter krummem Kreuz!“).

[...] Meine Gegenthese zu der Ihren: „Erziehung – Max Horkheimer sprach von „Politik“ – , die nicht ein Stück Religion“ – Horkheimer sprach von „Theologie“ – in sich enthält, bleibt letztendlich Geschäft.“ Dipl. Theol. Peter Neuhaus, Hilchenbach