Paraguays Wahlsieger über seine Politik: "Nicht nur Land der Rinderzucht sein"

Der emeritierte Bischof und frisch gewählte paraguayische Präsident Fernando Lugo spricht mit der taz über seinen Weg in die Politik und sein Regierungsprogramm.

Ex-Bischof Lugo will das Land wirtschaftlich wieder auf Vordermann bringen. Bild: dpa

taz: Monseñor, wie wird aus einem Bischof ein Präsident?

Fernando Lugo: In San Pedro, der ärmsten Region Paraguays, waren wir seelsorgerisch und sozial aktiv. Wir haben wirtschaftliche Forderungen gestellt. Doch schnell hat sich gezeigt, dass das nicht reicht. Wir glauben, Politik ist ein wichtiges Werkzeug für den wirklichen Wandel. Als ich als bereits emeritierter Bischof eine Schule leitete, haben mich mehr als hunderttausend Bürger mit ihrer Unterschrift gebeten, mein Priesteramt aufzugeben und eine breite, offene Bewegung für den Wandel anzuführen. Ich habe das abgewogen. Weihnachten 2006 blieb mir nichts anderes mehr übrig, als mich zur Verfügung zu stellen. Dann gründeten wir das Patriotische Bündnis für den Wandel, das neun politische Parteien und zwanzig gewerkschaftliche, Frauen-, Indianer- und Bauernorganisationen umfasst.

Sie sind dafür vom Vatikan kritisiert worden …

Der Vatikan hat kohärent reagiert, denn es gab noch keinen solchen Fall. Er konnte keinen Präzedenzfall schaffen, das verstehe ich sehr gut. Ich bin wegen meiner politischen Tätigkeiten von den Priesterpflichten entbunden, darum hatte ich gebeten.

Hält Sie Papst Benedikt XVI. für einen Nachfolger der Befreiungstheologen?

Nein, ich weiß nicht, was der Papst davon hält … In Ecuador, wo ich fünf Jahre als Missionar tätig war, hatte ich den ersten Kontakt mit der Befreiungstheologie, mit Bischof Leonidas Proaño. Das hat mir die Augen geöffnet, diese neue Erfahrung von Kirche hat mich stark geprägt.

Welche Aspekte der Befreiungstheologie sind in Ihr politisches Projekt eingeflossen?

Vor allem die Partizipation. Die Befreiungstheologie räumt den Laien großen Raum ein. In der Diözese San Pedro haben wir die Erfahrung von über tausend kirchlichen Basisgemeinden, da kann keiner ein anonymer Christ sein. An unserer Regierung sollen sich alle Bevölkerungsschichten beteiligen.

Welche sind die zentralen Punkte Ihres Regierungsprogramms?

Wohnungsbau, die Landreform, die nie richtig umgesetzt wurde, die Einführung eines universalen Gesundheitssystems, eine Bildungsreform und schließlich der Bau von Verkehrswegen; das sind die fünf großen Achsen.

Kann sich Paraguay überhaupt von den Sojaexporten abkehren, die den Kleinbauern so viel Elend bringen?

Das Sojaprogramm ist für die Regierung wichtig, weil es den größten Posten bei den Deviseneinkünften ausmacht. Aber es darf nicht das einzige Modell sein. Wir glauben, dass es nicht unvereinbar mit der kleinbäuerlichen Landwirtschaft ist.

Besteht nicht die Gefahr, dass sich wie in Bolivien mächtige Gruppen dem sozialen Fortschritt entgegenstellen, den Sie erreichen wollen?

Unsere Programme sind nicht radikal, sie sind rational. Wir arbeiten an einem gesunden Pluralismus innerhalb der Kräfte, die unser Bündnis ausmachen. Die Prinzipien eines gesunden Nationalstolzes, einer Reaktivierung der Wirtschaft mit sozialer Ausrichtung werden sich durchsetzen und die Regierbarkeit erleichtern.

Wie beurteilen Sie den regionalen Kontext dafür?

Er ist ziemlich günstig. Paraguay muss auch in die Dynamik echter Veränderungen einsteigen. Brasilien, Argentinien und Uruguay müssen auch an der Stärkung der Demokratie interessiert sein. Wir kommen ja alle aus eisernen Diktaturen der 60er-, 70er- und 80er-Jahre. Paraguay hat sie zuletzt hinter sich gelassen. Das Erbe ist Angst und Apathie gegenüber der Bürgerbeteiligung, doch die werden wir jetzt überwinden.

Ihre wichtigste Forderung an den großen Nachbarn Brasilien?

Es geht um das Wasserkraftwerk Itaipú. In einer Note aus dem Jahr 1966 ist explizit von einem "gerechten Preis" für die Energie die Rede, die ein Land dem anderen verkauft. Der Preis, den Brasilien derzeit bezahlt, deckt gerade die Kosten. Wir wollen, dass dafür Marktpreise gezahlt werden. Wenn uns das gelingt, wird das unsere Wirtschaft erheblich ändern. Paraguay kann nicht nur ein Land der Rinderzucht sein, wir müssen uns in ein Land der Wasserenergie, ein Industrieland verwandeln.

Glauben Sie, Brasiliens Präsident Lula wird Ihnen entgegenkommen? Es gibt starke Widerstände in Brasilien.

Ich denke, ja. Lula selbst hat ja gesagt, dass Brasilien sein Wirtschaftswachstum nicht auf Kosten der Armut seiner Nachbarn planen kann. Wir bewundern die brasilianischen Sozialprogramme. Paraguay hat diesbezüglich ein großes Defizit. Das Geld von Itaipú kann uns das lindern helfen.

INTERVIEW: GERHARD DILGER

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