Historische Dokumentation: Der Hang zum Geschichtspapst

Zeitzeugen zu befragen ist out: In vielen historischen Dokumentationen gewinnt die Figur des Erzählers an Bedeutung. Eine "Mattscheibe ohne Hitler" ist nicht in Sicht.

Deutsches Fernsehen ohne Hitler? Ist vorerst nicht in Sicht.

STUTTGART taz Der Leibwächter ist in Dokus oft dabei. Auch in der "Varusschlacht" (WDR, ARTE) wird die Geschichte des germanischen Fürstensohns Arminius von ihm erzählt. Aus dem Off und zu inszenierten Bildern berichtet er, wie Arminius als kindliche Geisel den Römern übergeben wurde - und später im germanischen Wald die römischen Legionen des Varus besiegte.

Historiker mögen einwenden, dass der Leibwächter in geschichtlichen Quellen nicht vorkommt. Doch das macht nichts, sagte WDR-Redakteurin Beate Schlanstein bei der Tagung zur "Zukunft des Geschichtsfernsehens" im Stuttgarter Haus des Dokumentarfilms: "Wir haben an keiner Stelle wider besseres Wissen gehandelt." Alles hätte also so sein können - nur gekennzeichnet haben die Autoren ihre Spekulationen nicht richtig. Denn es geht hier weniger um Geschichte, sondern um Fernsehen, ums Publikums, das einschalten und dranbleiben soll. Und da braucht man einen Erzähler, sagen die Redakteure.

Der findet sich auch in der britischen Doku "Rough Crossings", in der es um den jahrhundertealten Kampf von Afroamerikanern um ihre Freiheit geht. Schnell wechseln die Zeitebenen - eben noch hörten wir die sonore Stimme des Erzählers und Filmautors, Simon Schama, und sahen ihn durch Straßen gehen, schon sind wir in inszenierten Filmbildern, in denen Schwarze geschlagen werden oder entschlossen dreinschauen. Was manchem als schnelle Bilderflut erscheint, ist für andere die neue, erfolgversprechende Arbeitsweise. "Die Zuschauer sind geübt darin, komplexere Zeitverflechtungen auch in den Bildern zu entschlüsseln", sagt Tobias Ebbrecht von der Potsdamer Filmhochschule. Dagegen seien die deutschen Geschichts-Events wie die ZDF-Produktion "Die Gustloff" oder der Kinofilm "Der Untergang" zu sehr dem Melodram verpflichtet. Die Briten dagegen liefern, so Ebbrecht, anschauliche Beispiele für "poröse Geschichte". Gemeint sind damit Filme, die verschiedene Perspektiven und Deutungsmuster anbieten, im Gegensatz zu den "geschlossenen Erzählformen", die der ZDF-Geschichtspapst Guido Knopp zum deutschen TV-Doku-Standard erhob.

Der Autor als im Film sehr präsenter Erzähler ist dabei eigentlich ein alter Hut: Schon in "Berlin am Ende" (1983) von Roman Brodmann und Rainer C. Wagner, einer Folge der Doku-Reihe "Europa unterm Hakenkreuz" spricht Brodmann den Kommentar des Films selbst: Dabei ordnet er das Material nach sachlichen und assoziativen Aspekten. Und macht sich damit auch persönlich angreifbar. - Kein Vergleich zur Erzählerfigur, die Maximilian Schell im gestern gestarteten ZDF-Dreiteiler "Imperium der Päpste" gibt. Da spricht der Mime Sätze in die Kamera, die wie von Redakteuren aufgeschrieben wirken, und sein Auftrag wird sehr schnell klar: Da soll einer die Zuschauer in Spannung versetzen, Stimmung machen für das große "Duell zwischen Kreuz und Krone" (so der Untertitel der gestrigen ersten Folge, Fortsetzung 4. und 11. Mai).

Nun stand das Stuttgarter Tagungsthema auch noch unter dem Titel "Mattscheibe ohne Hitler". Doch das scheint eher eine Hoffnung als den gegenwärtigen Zustand des Geschichtsfernsehens zu beschreiben. Die ARD präsentierte ihr neues Magazin "Geheimnis Geschichte" - die ersten drei Folgen: Die Mütter und der NS-"Lebensborn", Weihnachten 1945 und Hitlers "Machtergreifung" 1933.

Die spannende Frage hierbei dürfte sein, ob nun auch in diesen Doku-Formaten der bis vor kurzem allmächtige Zeitzeuge - auch wenn er nur Leibwächter oder Hausmeister war - hinter einen Erzähler zurücktritt. Dafür spricht einiges: Der Zeitzeuge ist subjektiv, und je länger die fragliche Zeit zurückliege, desto mehr verändert sich die Erinnerung. Nun soll es also einer richten, der schon alles weiß - der Erzähler mit seiner charismatischen Einmaligkeit.

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