Kolumne Das Schlagloch: Verteidigung der Misanthropie

Wir sollen mehr Kinder kriegen, sagt die Politik und spendiert Zeugungsverlockungsgeld. Doch für die Umwelt wäre es besser, weniger zu haben.

Klimapanik und Konsumboykott, Polohemden und scheußliche Hosen: Die 80er-Jahre kehren zurück. Schon länger trauen wir den USA wieder das Übelste zu, so wie wir damals grüne Wahlplakate studierten, auf denen Zitate von Ronald Reagan gesammelt waren à la: "Europa, das machen wir einfach platt." Auch die Angst vor Post-Putin-Russland gehört inzwischen wieder dazu, und das neue Feindbild China ist eine schöne Reminiszenz an den Kalten Krieg. Nur eine entscheidende Zutat vermisse ich noch: Jenes kleine, aber unverzichtbare Quäntchen Misanthropie, das die 80er-Jahre so sympathisch machte. Die Vorstellung, dass der Mensch an allem schuld sei und dass das schlimmste Übel eines allumfassenden Krieges zwar der Tod, aber vielleicht nicht unbedingt der des Menschen sei.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich bin ich unbedingt "für" den Menschen, seine Rechte, sein (und ihr) Wohlergehen. Ich plädiere auch gerne jederzeit und uneingeschränkt fürs Kind: dem nämlich, im deutschen Raum wie im weltweiten Vergleich, Versorgung, Bildung, Hingabe und echtes Interesse in einem viel größeren Maße zustehen, als die meisten von ihnen genießen dürfen. Ich bin für den Menschen und das Kind - sobald sie denn nun schon mal da sind. Dass ein Kind etwas Wertvolles, Entzückendes und Wunderschönes ist, bedeutet aber nicht, dass man unbegrenzt viele davon haben und noch mehr davon in die Welt setzen müsste.

Dieser Grundsatz gilt eigentlich für alle schätzenswerten Dinge: Gern nehm ich Gold - aber bitte nicht an jedem Zahn. Schokolade - aber doch nicht mehr als ein Pfund pro Tag. Strand und Meer sind toll, aber es muss auf dieser Welt auch Platz für Städte, Wiesen und Wüsten geben. Als jeder Vernunft bare, reine Ideologie ist schließlich auch die Idee zu verstehen, in die sich unsere Politiker und unsere Öffentlichkeit in den letzten Jahren hineingesteigert haben, dass das Glück dieses Landes und seiner Familien proportional zur Zahl seiner Kinder steige. Dass ein Kind oder auch zwei Kinder das Leben vieler Menschen erst komplett machen, ist zu verstehen; aber müssen es denn gleich drei oder ein halbes Dutzend sein?

Offenbar ja, denn als ganz selbstverständlich gibt sich inzwischen das Ziel der Politik, finanzielle Anreize nicht zur besseren Kinderbetreuung, sondern zur Betreuung von mehr Kindern zu schaffen. Fürs Kind selbst besser wären vielleicht ohnehin kindgerechte Gutscheine, damit die Eltern das Kindergeld nicht gleich wieder in ein neues Auto stecken.

Aber wenn schon Kindergeld, wieso dann nicht einfach nur bis zum zweiten Kind? Ich gebe zu, dass das abseitig klingt, aber der Vorschlag der SPD zu der Obergrenze für Managergehälter (oder deren voller steuerlicher Absetzbarkeit) hat mich darauf gebracht. Es mag Gründe gegen diesen SPD-Vorschlag geben; aber es stimmt nicht, dass diese Idee dem Kern unserer Verfassung widerspricht. Im Gegenteil liegen jeder konkreten Verfassung nicht nur abstrakte Prinzipien, sondern auch gesunder Menschenverstand und vernünftiges Maß zugrunde. Dieses mehr oder weniger vernünftige Maß wird allen Zuschüssen und Steuerfreibeträgen zugrunde gelegt. Warum also soll unsere Gesellschaft pro Paar eine unbeschränkte Menge von Kindern subventionieren?

Zu unterscheiden vom sogenannten Kinder-, aber eigentlich eher Zeugungsverlockungs- und Elternbelohnungsgeld, mitsamt dem, was sie derzeit noch alles planen, ist natürlich die Hilfe des Staates, damit niemand in Not gerät, der eine chronische Krankheit oder eben ziemlich viele Kinder hat. Und man störe sich bitte nicht an der Analogie Kinder und Krankheit, denn es ist ja keine Schande, das eine oder das andere zu haben. Finanziell käme es für die Kinderlosen durch die Hintertür daher vielleicht wieder aufs selbe, wenn nicht auf noch mehr Sozialabgaben zugunsten in Armut geratene Familien hinaus. Das wäre völlig okay! Einzusehen ist bloß nicht das gesetzgeberische Signal, Kinderkriegen sei per se und en masse zu belohnen.

Zugegeben, auch die CDU hat nicht unbedingt die Masse im Auge. Eigentlich will man ja vor allem, dass die studierten Leute Kinder bekommen, "wertvolle" Kinder sozusagen, bei den anderen Leuten ists eher egal, das wird Kanonenfutter für die Schulmisere. Ganztagsschulen, wozu? Solange jedes Kind verschuldeter Eltern ein Handy und eine Playstation hat.

Apropos Elektroschrott, da fällt einem gleich der nächste Widerspruch auf: Abgesehen von der Steigerung der Gebärquote, scheint sich in Deutschlands Politik derzeit alles um den Klimaschutz zu drehen. Beides passt aber nicht zusammen. Die größte Umweltsünde ist und bleibt der Mensch, zumindest solange er einen bestimmten Lebensstandard pflegt. Welche Stromsparstufe sein Kühlschrank hat, ob er seinen TV immer schön ausknipst, ob er die Unmengen von Konsumgütern, die er im Leben verschlingt, nur aus Europa herankarren oder aus Taiwan einfliegen lässt - es macht einen Unterschied, aber auf den Vergleich Mensch/Nichtmensch gerechnet, ist der nun nicht besonders hoch.

Und dass der Mensch eine Umweltsünde ist, ist nur einer der Gründe, die gegen die Spezies als Ganzes sprechen; kommen wir also noch einmal auf die Misanthropie zurück. Eigentlich sind es ja nicht Naturereignisse wie damals das Erdbeben von Lissabon, die uns an der Welt, ihrer Freundlichkeit und Tauglichkeit, zweifeln lassen. Dass die physikalische Welt wackelt, kann man irgendwie noch verstehen. Aber grad wenn er fest mit beiden Beinen auf der Erde steht, richtet der vermeintlich zu Höherem begabte Mensch einen Mist und ein Verderben an, dass es einen schaudern kann. Genozid in Ruanda und Folter in Abu Ghraib, Massentierhaltung und "ökologische" Palmölplantagen überall, wo früher Regenwald war.

Dass der Mensch die Krone der Schöpfung sei, wollten uns die Früheren glauben machen. Dass er Zufall sei, erklärte uns später die Evolutionsbiologie. Gegen diese Ansicht allerdings ist jetzt das sehr schlaue und hervorragend geschriebene Buch "Jenseits des Zufalls" des Evolutionsbiologen Simon Conway Morris (Berlin University Press, 2008) gerichtet. Doch, es sei sehr wohl eine gewisse Gerichtetheit in der Evolution zu erkennen. Ihr standen viele, aber eben nicht alle Türen offen, und mit einer gewissen Zwangsläufigkeit lief alles angeblich sogar auf den Menschen und seine Intelligenz hinaus.

Das mag stimmen. Vielleicht führte kein Weg an uns vorbei. Ob das aber ein Grund zum Feiern ist? Es kann ja sein, dass die Welt ihre schönsten Jahre schon hinter sich hatte, bevor der Mensch evolutionär auf die Bühne trat; die Natur hat eine Menge wundervoller unbelebter und belebter Dinge hervorgebracht, doch eine Notbremse ist ihr leider nicht eingebaut. Vielleicht ist der Mensch bloß der nachträgliche Preis, den die Welt für alle vorigen Wunderwerke zu zahlen hat.

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